Samstag, 17. Oktober 2020

Melodien der Berge

Tation - Coordinate Plan 2018 


[ instrumental | experimentell | schroff ]

Ich mag viele Sachen daran, neue Bands zu entdecken und in die Diskografien bisher unbekannter Künstler*innen einzusteigen, es gibt aber zwei Faktoren, die bei dieser jungen Gruppe hier zutreffen, bei denen ich schlichtweg ein bisschen emotional geworden bin. Zum einen die, dass es sich hier um eine Instrumentalrock-Formation handelt, bei der man ohne Umschweife die Assoziation Postrock als zutreffend befinden kann, dem ich hier ja immer wieder ein wenig nachhänge. Zum anderen, dass sie ob ihrer Verortung in der tibetanischen Pampa ein Act sind, der einen blinden Fleck auf meiner musikalischen Weltkarte füllt. Was in Kombination sogar noch genialer ist, da es wieder mal als Beweis dient, dass Postrock eine Musik ist und bleibt, die kein kulturelles Zentrum hat und überall auf dem Globus mehr oder weniger gleich funktioniert. Wobei es Tation in ihren Songs schon auch ein bisschen um eine gewisse Heimatverbundenheit und die klangliche Abbildung der unwirtlichen und monumentalen Natur des Himalaya geht. Das zumindest ist eine der Sachen, die sich aus dem Begleitschreiben von Coordinate Plan 2018 herausfinden lassen, wo unter anderem auch steht, dass die Platte lediglich die auditive Komponente eines umfassenderen Mixed-Media-Kunstprojektes ist, das vor zwei Jahren zum selben Thema entstand und auch mehrere Videos, Texte sowie eine Ausstellung beinhaltet. Genaueres dazu kann auf ihrer Bandcamp-Seite nachgelesen beziehungsweise -geschaut werden, mir geht es hier primär um die Musik der Gruppe, die allein schon für einen sehr guten Eindruck reicht und auch ein bisschen mehr ist als nur guter Postrock. Denn obwohl die LP von einem relativ klassischen, von Acts wie Explosions in the Sky und Mono geprägtem Sound dominiert wird, ist das lediglich die Palette, mit der Tation arbeiten. Schon im ersten Song Nothing Orgy deutet sich das durch ein prominentes Saxofonsolo an, das die zweite Hälfte des Tracks maßgeblich in Richtung Free Jazz verschiebt. Und obwohl das darauffolgende Flowing der mit Abstand "normalste" Track der Platte ist und am ehesten in eine atmosphärische Richtung geht, nimmt die klangliche Zersetzung von hier aus nicht ab. Schon hier klingen Tation etwas Math- und Emo- inspirierter als vorher und verzichten größtenteils auf breite Shoegaze-Flächen oder ätherischen Hall. Stattdessen finden immer wieder kleine Field Recordings ihren Weg in den Song und zum verhaltenen Schlagzeug am Anfang gesellen sich langsam aber sicher immer mehr weirde Percussions-Elemente, bevor das Album mit den letzten zwei Tracks dann doch sehr abrupt umkippt. My Heart is Not Like Me eröffnet mit einem ebenso knalligen wie kurzen Screamo-Part und geht in eine gesprochene Gedichtrezitation über, die mich ein bisschen an Bands wie La Dispute oder Touché Amoré erinnert und das Album ästhetisch nochmal ganz anders verortet. Und gerade wenn man sich ein bisschen an die neue Emo-Perspektive gewöhnt hat, gehen Tation mit dem vierten und letzten Song Flying Around Flame schon wieder ganz woanders hin. Mit fast 17 Minuten ist dieses das bei weitem längste Stück der LP und mit seiner Positionierung eigentlich prädestiniert dafür, das große finale Statement von Coordinate Plan 2018 zu sein. Leider sieht die Band selbst das ein bisschen anders und packt hier ein sehr krudes, experimentelles und zum Teil kakophonisches Monster ans Ende der Platte, das mich eher mit vielen Fragen zurücklässt. Nicht, dass ich an sich etwas gegen solche Songs hätte, nur ist es doch ein sehr plötzlicher Bruch und einer, der klanglich nochmal ein komplett neues Fass aufmacht. Ein solches Ding dann ans Ende eines Albums zu stellen, das eh schon ein bisschen verwirrend ist, finde ich zumindest seltsam. Und obwohl ich finde, dass die vier Songs individuell nicht schlecht sind, ist der innewohnende Flow von Coordinate Plan 2018 mehr als etwas verwackelt. Was gerade bei dieser Form von instrumentalem Rock, bei der man eigentlich nur eine Ästhetik finden und diese dann durchziehen muss, ein bisschen seltsam ist. Klar freue ich mich, dass Tation sich über die üblichen Parameter hinaus betätigen, doch wenn man schon so clever ist, kann man drumherum auch einen besseren Bogen spannen. Ansonsten ist die Platte allerdings großartig und spannend genug, dass ich neugierig geworden bin, was diese Band noch so zu bieten hat. Denn talentiert sind sie auf jeden Fall, mehr als nur musikalisch.





Hat was von
Glacier
Kirtland

Sioum
I Am Mortal But Was Fiend

Persönliche Höhepunkte
Nothing Orgy | Flowing | My Heart is Not Like Me

Nicht mein Fall
-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen