Donnerstag, 29. Oktober 2020

Das Universum lacht mit dir

Ozric Tentacles - Space for the Earth 


[ instrumental | fantasievoll | esoterisch ]
 
Es ist noch eine sehr subtile und selten wahrnehmbare Entwicklung, die im Moment für mich auch nur ein reines Gefühl ist, doch scheinen die Ozric Tentacles aus Glastonbury in den letzten Jahren eine jener Bands zu sein, deren Karriere aktuell durch obsessive Internet-Nerds in einen zweiten Frühling gepusht wird. Besonders auf Plattformen wie Rateyourmusic und Discogs, auf denen sich Freund*innen obskurer Vintage-Diskografien seit jeher tummeln, sind mir seit einiger Zeit immer wieder frisch gebackene Fans der Briten untergekommen, die den großzügigen Output der New Age-Veteranen gerade erst für sich entdecken. Dabei ist es schön zu beobachten, wie das exklusive und reichlich nerdige Wissen um diese Band sich inzwischen von Generation zu Generation weiterträgt. Denn schon in den Achtzigern und Neunzigern - so habe ich inzwischen erfahren - war es vor allem eine eingeschworene Familie um DIY-beflissene Bootlegger, die die wesentliche Fanbase der Ozric Tentacles bildete und deren Kunde weitergab, aber auch innerhalb einer semipermeablen Community hortete. Und auch wenn diese aufwändige Leidenschaft selbiger dazu geführt hat, dass es in Zeiten von niedrigschwelligem Streaming und Fan-Uploads wesentlich einfacher ist, den kompletten Katalog der Briten in guter Qualität überall abzurufen, bleibt diese Band höchstwahrscheinlich ein Leidenschafts-Ding. Zumindest kann ich mir nur schwer vorstellen, dass den Ozric Tentacles in den folgenden Jahren noch ein ähnliches Schicksal wie den Fishmans oder Mariya Takeuchi blüht, dafür sind sie noch immer zu uncool. Ich allerdings bin seit einiger auch Zeit ein User mehr, der neugierig geworden ist und habe mit ihrem neuesten Produkt Space for the Earth nun auch tatsächlich eine Platte, mit der ich das für mich ganz offiziell bestätigen kann: Diese Band ist ihre Verehrung auf jeden Fall wert. Und auch definitiv eine angenehm schräge Kuriosität auf meinem musikalischen Horizont, die ich erst für mich entdecken musste. Denn wie man vielleicht schon ob den Covers vermuten kann, sind diese Briten etwas speziell unterwegs. Ihre grundsätzliche Verwurzelung liegt irgendwo im Progrock der frühen Achtziger und Vergleiche, die im Bezug auf sie immer wieder auftauchen sind Rick Wakeman, Gong, Hawkwind und (ugh!) Dream Theater. Zusätzlich dazu hat ihr Sound aber auch eine starke New Age-Schlagseite und kann ohne Bedenken als ziemlich esoterisch und verschwurbelt bezeichnet werden. Was dabei vor allem eine Rolle spielt, ist auch ihr tendenzieller Hang zu elektronischen Elementen und Synthpop, die in ihrer Musik mindestens so prominent auftauchen wie klare Rock-Strukturen und sie stilistisch auch ein wenig in das Ambient-Chillout-Terrain von Leuten wie Shpongle oder Four Tet ziehen. Und Space for the Earth ist definitiv ein Album, mit dem diese Band zeigt, wie groß der Platz zwischen diesen Stühlen sein kann. In 47 Minuten instrumentaler Jam-Eskapaden, bei denen kein Song unter fünf Minuten wegkommt, bedienen sich die Briten absolut aller Register des gut gemachten Plätschersounds. Es gibt hier viele leichte Gitarrenklänge, die ohne den Begriff des Riffs auskommen, klimpernde Synthesizer, vielschichtige Perkussion und hin und wieder sogar Vogelgezwitscher, Panflöte oder Meeresrauschen. Das klingt natürlich unglaublich kitschig und ist es auch, doch im Gegensatz zum Großteil des mir bekannten Spektrums von New Age dieser Art ist das hier in keinster Weise belanglos. Space for the Earth ist keine Platte, die man gut zum Yoga oder zur kollektiven Tantramassage mit Räucherstäbchen auflegen möchte, denn dazu passiert hier kompositorisch einfach zu viel. Viel eher erinnert mich das hier an einen sehr aufwändig gemachten Videospielsoundtrack aus den späten Neunzigern oder etwas zu hyperaktive Hintergrund-Muzak für einen schlechten Werbefilm. Es ist auf jeden Fall ein Mindestbestand ironisches Amüsement mit im Spiel, wenn ich sage, das hier ist empfehlenswert. Und für Leute, die modernen Prog für seine Bierernstigkeit und...ähem...musikalische Tiefe schätzen, ist das hier wahrscheinlich zu schrullig. Aber genau darin liegt für mich irgendwie der Reiz: Dass diese Band sich traut, Spaß zu haben und dabei auch hinnimmt, ab und zu ein bisschen albern zu klingen. Wenn im Mittelteil von Harmonic Steps plötzlich die dicke Funk-Gitarre rausgeholt wird oder der Titelsong zwischendurch dreist in Richtung Dub abbiegt, ist das manchmal ziemlich zum schmunzeln. Doch eben nicht auf so eine cringy Art und Weise wie vielleicht bei Coheed & Cambria, sondern auf eine witzig-kreative. Ozric Tentacles framen sich nicht als eine Band, die dramatische Konzeptalben mit weltbewegenden Themen schreibt, deswegen kommen sie mit sowas durch. Und ehe ich mich versehe, stelle ich fest, wie sehr ich einfach den angenehmen Flow, die überraschenden Verwurstelungen und den liebenswürdigen, unstressigen Sound dieser LP genieße. Space for the Earth ist eine Platte, die mich vor allem spielerisch beeindruckt, durch gute Ideen und dadurch, dass sie gut klingt. Dass mir das aber nicht pretenziös und überzogen vorkommt, liegt daran, mit wie viel angenehmem Humor sie bei der Sache sind. Und immerhin muss man es erstmal schaffen, nach fast 40 Jahren im Business so ein lockeres, unpeinlich smoothes Prog-Album vorzulegen. Also ja, vielleicht bin ich jetzt auch einer von diesen Fans.


Hat was von
Yes
Fragile

Shpongle
Ineffable Mysteries From Shpongleland

Persönliche Höhepunkte
Stripey Clouds | Blooperdome | Humboldt Currant | Space for the Earth | Harmonic Steps

Nicht mein Fall
-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen