Donnerstag, 22. Oktober 2020

Soul for the Bros




[ kommerziell | soulig | unkompliziert ]
 
 Das gute an einem Künstler wie Bryson Tiller ist in meinen Augen, dass man ihn nicht wirklich ernst nehmen muss, um seine Musik ernsthaft gut zu finden. Zumindest nicht auf so eine artsy-progressive Kunstpop-Art und Weise wie dieser Tage viele dieser R'n'B-Typen. Zwar feiert der Sänger aus Kentucky seit 2015 als Erfinder des klanglichen Labels 'Trapsoul', an das er uns nicht häufig genug erinnern kann, doch macht er in seinem ganzen Auftreten auch keinen Hehl daraus, dass er Musik für die Massen macht. Er ist nicht wie ein the Weeknd oder eine Kelela oder eine Solange, die immer irgendeinen an den Haaren herbeigezogenen konzeptuellen Überbau für ihre Musik brauchen oder sich wie große Wegbereiter fühlen müssen, um ihrem Werk Geltung zu verpassen. Tiller ist stattdessen ein Typ, der gut traurige Songs singen kann, aber trotzdem am liebsten Bier trinkt und statt über Politik oder Selbstentfremdung Texte über Parties und seine Exen schreibt. Und obwohl das konzeptuell und klanglich ziemlich Zwotausender ist, macht er damit traumwandlerisch Platten, die durchweg solide sind. Besser noch: Er ist die Art von Musiker, die Leute wie Usher, Chris Brown oder Jason Derülo hätten sein können, stünden ihnen nicht so viele Crossover-Ambitionen und toxische Starallüren im Weg. Was ich an Bryson Tiller mag, ist dass er unkompliziert ist. Und A n n i v e r s a r y (im folgenden Anniversary genannt, ich bin ja nicht bescheuert) ist nichts weiter als ein erneutes Paradebeispiel dieser simplen Schönheit. Zehn Songs, 30 Minuten, ein Sound, eine Idee: fertig. Für jemanden wie mich, der in die Welt des R'n'B erst vor wenigen Jahren ernsthaft eingetreten ist und dieser noch immer ein wenig fremd scheint, ist das hier ein echter Lichtblick, denn es erinnert mich erstmal wieder so richtig, wie eigentlich die Rohmasse dessen aussieht, was seit dem ersten Album von Frank Ocean oftmals schreiend und zappelnd in den Status von Hochkultur erhoben wird und wie natürlich schön dieser Primärzustand eigentlich ist. Vielleicht ist auch ein kleines bisschen Nostalgie dabei, wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass Tillers Sound so oldschool gar nicht ist. Sicher, sein Gesangsstil klingt extrem nach 2005 und auch das einzige goffiziell gelistete Feature von Drake ist ein ziemlicher Throwback in dessen Mixtape-Phase, doch andererseits sind die Trapbeats, der Autotune und die Produktion extrem zeitgenössisch. Vorsätzlich retro zu sein, kann man Anniversary also nicht unbedingt vorwerfen. Was das so erscheinen lässt, ist wahrscheinlich einfach nur die Eigenschaft, dass Tiller viel unnötigen Schnickschnack weglässt und ganz offen kommerzielle Musik macht, die keine weiteren kunstigen Ansprüche hat. Und so sehr ich Experimente in meiner Popmusik mag und dafür bin, dass sich Dinge entwickeln, ich habe vor diesem bescheidenen Pop-Entwurf den tiefsten Respekt. Beziehungsweise ist es lange her, dass ich ein Album von the Weeknd so gut fand wie das hier.


Hat was von
Drake
More Life

the Weeknd
My Dear Melancholy

Persönliche Höhepunkte
Years Go By | I'm Ready for You | Things Change | Inhale | Outta Time | Next to You

Nicht mein Fall
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