Dienstag, 13. Oktober 2020

Wahre Gefühle


Deftones - Ohms  

[ schmerzvoll | grantig | aufgekratzt ]

Ich hatte mir eigentlich fest vorgenommen, diesmal nicht mehr ausführlich über die Deftones zu schreiben. Ich hatte einfach nicht den Eindruck, dass es sich lohnen würde. Schon eine ganze Weile höre ich nun immer wieder, was für eine Ausnahme die Kalifornier unter den Metalbands der ausgehenden Neunziger sie doch sind und was für einen wirklichen Unterschied ihre kreative Herangehensweise macht, aber wenn ich ehrlich bin, konnte mir das bisher immer gestohlen bleiben, da ich diese Herangehensweise schlichtweg nicht besonders mochte. Von den Ausschnitten ihrer Diskografie, die ich bisher so kenne, sind es eher Wildcards wie ihr selbstbetiteltes Album von 2003, die ich ernsthaft mag, wohingegen Fanfavoriten und objektive Klassiker wie White Pony mich immer ziemlich kalt ließen. Und da die klangliche Marschrichtung der Gruppe seit ihrem Comeback Diamond Eyes von 2010 eh in eine Richtung tendiert, die mir bisher ziemlich egal war, befand ich es für den richtigen Zeitpunkt, nicht mehr Aufmerksamkeit auf diese Band zu verwenden als unbedingt notwendig. Zumindest bis sie vor zwei Wochen eben doch das Album machten, was mich für diesen Sound begeistern konnte. Und ich bin davon sicherlich noch immer am meisten überraschtest, zumal sich diese Überzeugung auch erst langsam durchsetzte. Als ich Ohms vor einer Woche zum ersten Mal hörte, war ich nämlich noch überzeugt, hier die schlechteste Platte der Deftones seit langem zu hören. Die aufgekratzte klangliche Grundstimmung, die teils dissonante Komposition, der absichtliche Verzicht auf klare zentrale Motive und vor allem die gequälte, schmerzhafte Gesangsperformance von Chino Moreno stellten mich vor ein ziemliches Rätsel, das mich in erster Instanz vor allem abstieß. Irgendwas daran fand ich aber doch irgendwie faszinierend und sehr schnell entschied ich mich, dass ich diese Faszination genauer erforschen wollte. Mit dem Ergebnis, dass Ohms gerade einer meiner überraschenden Favoriten geworden ist und darüber hinaus die gesamte Ästhetik dieser Band für mich zum ersten Mal funktioniert. Denn grundlegend muss man natürlich erstmal feststellen, dass diese LP klanglich gar nicht so viel anders macht als bisher. Prinzipiell ist dieses Album ein weiteres Produkt des klassischen Sounds, den es schon auf Koi No Yokan oder White Pony gab. Mit Terry Date ist hier sogar wieder der Produzent dabei, der bereits die gesamte Frühphase der Deftones an den Reglern saß, wobei es definitiv auch ihm zu verdanken ist, dass Ohms wieder heavier, grooviger und auch ein bisschen mehr nach den Neunzigern klingt. Assoziative Anschlusspunkte des Sounds sind neben den alten Sachen der Band selbst Sachen wie Trent Reznor, die Smashing Pumpkins, Tool, Alice in Chains und ein bisschen sogar Jane's Addiction. Die größte Leistung liegt aber meiner Meinung nach ganz klar im Songwriting und in der Performance, durch die ich die Angstyness und Wut, die Deftones ja immer noch haben, endlich mal wirklich ernst nehmen und mitunter sogar spüren kann. Viel davon findet sich schon im fahrigen Sound der Platte, der mehr denn je wie eine finstere, dickflüssige und homogene Masse wirkt, in der einzelne Motive und Grooves nur punktuell herausstechen. Stilistisch sind die Übergänge zwischen New Metal, Shoegaze, Hardcore und sogar Industrial und Grunge völlig fließend und so gut wie jeder Song hier klingt, als wäre er aus einem geheimen Regierungslabor ausgebüchst und würde jetzt willkürlich Passanten anfallen. Die Kopfnote dieses klanglichen Mutanten bildet dann fast immer die Gesangsleistung von Chino Moreno, der in meinen Augen hier nicht weniger als über sich selbst hinauswächst. Wie ein Weltmeister legt er sich hier mit voller Wucht in jede Emotion, ist gleichermaßen aggressiv, gequält, verletzt, beruhigend und harmonisch und mitunter sogar alles gleichzeitig. Vor allem in den Momenten, in denen er sich dabei in jene seltsamen Billy-Corgan-Vokalisierungen begibt und man fast die Galle spüren kann, die ihm dabei aus dem Hals kommt, ist das mitunter gewöhnungsbedürftig. Aber liegt genau darin auch der Unterschied zu einem Jonathan Davis oder David Draiman, bei denen die Angst und das Leid nur noch als Pose erscheint. Hier fühlt sich eine Alt-Metal-Gesangsperformance tatsächlich mal wieder so an, als würde jemand tatsächlich etwas empfinden. Und es ist das entscheidende Zünglein an der Waage, das Ohms von einem guten Album zu einem bemerkenswerten macht. Ich will an dieser Stelle nicht so weit gehen zu sagen, es sei das beste der Deftones, dazu bin ich zu sehr Laufkundschaft. Auf jeden Fall ist es aber das erste Mal, dass ich wirklich die Empfindung habe, hier eine Band zu hören, in die ich emotional inverstiert bin.Und das ist mehr, als ich bisher bei irgendeinem ihrer Alben gefühlt habe. Also irgendwie schon das beste.



Hat was von
the Smashing Pumpkins
Adore

Nine Inch Nails
the Downward Spiral

Persönliche Höhepunkte
Ceremony | Urantia | Error | Pompeji | This Link is Dead | Headless | Ohms

Nicht mein Fall
-

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen