Mittwoch, 28. Oktober 2020

Wieder auf Spur

 

[ düster | gruselig | monumental ]
 
Als ich im Dezember 2012, damals noch auf meinem alten Format, das erste Mal eine Liste mit Platten aufstellte, die mich in jener Saison besonders beeindruckten, waren Crippled Black Phoenix aus Bristol eine der Bands, die mich gerade ziemlich beeindruckt hatten. Mit ihrem anderthalbstündigen Progrock-Epos (Mankind) the Crafty Ape hatten sie nicht nur in Sachen Größenwahnsinn einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, sondern auch eine LP vorgestellt, die ein angenehm rustikales und organisches Verständnis moderner progressiver Rockmusik vermittelte. Und obwohl es jetzt doch ein bisschen länger her ist, dass ich das Album zum letzten Mal gehört habe, kann ich mir durchaus vorstellen, dass ich es heute immer noch mögen würde. Ziemlich sicher bin ich mir sogar, dass Crippled Black Phoenix seitdem keine bessere Platte mehr gemacht haben. Denn obwohl sie in den immerhin acht Jahren zwischendrin hier stets ein wenig unter dem Radar geflogen sind, habe ich mir doch jedes ihrer Alben wieder angehört. Immer in der vergeblichen Hoffnung, vielleicht nochmal diese eine geniale Version der Briten zu hören, die sie irgendwie nicht mehr erreicht haben. Mit White Light Generator und Bronze fanden sie sich nach dem großen Plauz von Mankind erstmal im kompositorischen Ödland des zeitgenössischen Prog wieder, bevor sie 2018 mit Great Escape ein nicht minder vorhersehbares und wässriges Postrock-Album veröffentlichten. Und ich muss zugeben, mit jedem mittelmäßigen Projekt von ihnen schwand auch meine Hoffnung, irgendwann nochmal noch ein wirklich nennenswertes zu hören. Zumindest bis jetzt. Denn obwohl Ellengæst, der inzwischen achte Longplayer der Gruppe, ebenfalls kein solicher ein Hingucker wie damals Mankind ist, macht er doch im Vergleich zu den reichlich lahmarschigeren Vorgängern einen gewaltiger Schritt nach vorne. Vor allem dadurch, dass er sich in Sachen Songwriting endlich wieder etwas mehr traut und jene grantig-rockige Energie zurückbringt, mit der Crippled Black Phoenix meiner Meinung nach noch immer am besten klingen. Stilistisch ist es diesmal allerdings nicht ganz so einfach. Von seinen Impulsen her ist Ellengæst mehr denn je ein Mischwesen, das irgendwie im Post- und Progrock seine Füße stehen hat, aber teilweise genauso sehr nach Doomrock, Goth, Post Metal, Shoegaze, Postpunk oder sogar Indie klingt. Fragmente von Songs erinnern an so unterschiedliche Künstler*innen wie Thee Silver Mt. Zion, Amanda Palmer, Tereza Suarez, Arcade Fire, die Editors oder Mono und es kann auf jeden Fall gesagt werden, dass alle Tracks hier sehr vielschichtig sind. Was sie eint ist häufig jene Art von düsterem Epochal-Songwriting, das in langen Songs von mitunter elf Minuten und mehr tiefer in eine schwarzmalerische Tragik bohrt. Es gibt immer wieder Sprachsamples, die sich mit den Konzepten Hölle, Sünde, Depression und Psyche auseinandersetzen und dem ganzen sehr häufig einen glaubwürdigen Gruselfaktor verleihen. House of Fools eröffnet dabei direkt aus dem Stand mit einem rabiaten Monsterriff, Everything I Say ist über lange Strecken eine verkappte Gothrock-Nummer, Lost klingt wie die monumentale Blockbuster-Version eines Interpol-Songs und In the Night hat dieses genial-fiebrige Intro, das leider Gottes auch der beste Teil des Stücks ist. Eine bleibende Wirkung erzeugen Crippled Black Phoenix hier also auf jeden Fall und selbst in vielen Momenten, die ich nicht so mag und sie vor allem mit den vier ziemlich doofen Gastperformances zusammenhängen, bleibt stets eine gewisse Grundspannung. Und genau diese ist das Element, dass Ellengæst in meinen Augen besser macht als alles aus den letzten sieben Jahren Crippled Black Phoenix. Das Album ist insgesamt weit davon entfernt, ein Meisterwerk zu sein, doch es schafft es immerhin schon mal, dass ich durchweg an den Dingen interessiert bin, die hier passieren und nicht nur darauf warte, dass der Song endlich zu Ende ist. Unterm Strich ist das hier zwar eher eine LP mit einzelnen Tracks als Highlights und ein paar anderen, die eher Füllmaterial sind, aber alles in allem hat das ganze eine Energie, an der man dran bleiben möchte. Und diese Band endlich wieder eine stilistische Marschrichtung, auf die ich ernsthaft neugierig bin. Zwar könnte es genauso gut sein, dass die Briten wie schon so oft nicht weiter an diesem Konzept arbeiten und ihre nächste Platte wieder vollkommen anders klingt, aber sollten sie das hier weiterdenken, wäre ich sehr optimistisch. Denn so nah an einem wirklichen Knüller waren sie jetzt schon sehr lange nicht mehr.


Hat was von
Mark Lanegan
Blues Funeral

Black Rebel Motorcycle Club
Wrong Creatures

Persönliche Höhepunkte
House of Fools | Lost | Everything I Say | (-)

Nicht mein Fall
She's in Parties

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