Freitag, 2. Oktober 2020

Fridl hatte Recht


[ kriminell | textig | cool ]

Ich habe in diesem Format schon mehrmals eher beiläufig die Aussage gedroppt, dass ich vom Youtube-Auftritt des BR Puls und dessen vom chronisch schockverliebten Fridl Achten moderierten Musiksegment nicht besonders viel halte. Nicht, dass ich irgendein Problem damit hätte, dass es an sich stattfindet, nur habe ich bei circa 90 Prozent ihres Outputs das Gefühl, dass auf sehr oberflächliche und einseitige Weise Künstler*innen hofiert werden, deren Output meist wenig künstlerischen Mehrwert hat und aus Kids mit zwei, drei guten Singles immer gleich die Neuentdeckung von morgen gemacht werden sollen. Spoiler: Wenige sind es am Ende tatsächlich geworden. Und auch von jemandem wie Lucio101, der neuesten heißen Frischware der Bayern-Redaktion, glaube ich nicht, dass er der nächste Capital Bra wird. Doch immerhin - und das ist in meinen Augen schon eine deutliche Verbesserung - hat Achtens Team hier tatsächlich mal einen sehr talentierten jungen Rapper ausgebuddelt, der musikalisch wirklich Potenzial hat und eben nicht durch seine Videos, seinen Tiktok-Beef oder seine Sneaker überzeugt, sondern durch seine Songs und seine Attitüde. Und die sorgen vordergründig dafür, dass sich Lucio bereits auf diesem viertelstündigen Mini-Mixtape anfühlt wie ein ausformulierter Hiphop-Charakter, der diese Sache schon jahrelang macht. Die Formel lautet dabei im wesentlichen: Authentizität, Coolness und eigenes Erleben. Wobei der eigentliche Selling Point ist, dass man diesem Typen die Straße so sehr anhört wie wenigen Anderen in den letzten Jahren. Das Narrativ des Berliners ist der wenig glamouröse Livestyle eines Tickers, bei dem sich der Protagonist in keimem Moment scheut, akribisch ins Detail zu gehen und peinliche Einzelheiten des kriminellen Broterwerbs zu schildern. Lucio macht dabei nicht auf Kingpin und erzählt keine Plattitüden über Groupies in Hotels und teure Markenkarren, er schildert viel mehr in zehn Songs einen typischen Arbeitstag. Was bei seiner lyrischen Herangehensweise und Performance tatsächlich so lässig und ein bisschen gelangweilt wirkt, dass man denkt der Typ wäre Klempner. Diese Detailverliebtheit gepaart mit provokativer Normalisierung hat aber zur Folge, dass sich die Songs aus Mittendrin umso mehr badass anfühlen und wesentlich wirksamer eine Art Gangster-Narrativ voranbringen als irgendein geifernder Rick Ross. Keine Ahnung, ob Lucio tatsächlich Drogen verkauft (hat), aber wenn nicht, scheint er trotzdem extrem viel Ahnung von den zugrundeliegenden Abläufen zu haben, so wie er hier unermüdlich darüber schreibt. Lange habe ich kein Album erlebt, dass sich so exklusiv und ausschließlich mit dem Thema Rauschgifthandel auseinandersetzt wie dieses hier. Und die, die es in ähnlicher Weise tun, sind dann eben klassische Hood-Platten aus den Neunzigern. Was ich für meinen Teil irgendwie sympathisch finde, weil es nicht geschauspielert wirkt. Lucio im besonderen bettet diese Texte dann auch noch in die richtige Ästhetik ein, die auf Mittendrin sehr minimalistisch und klar ausfällt. Nicht nur in den Instrumentals, die sich ein bisschen was beim UK Drill abgeschaut haben, sondern auch in Lucios Flow, der in jedem Moment zu hundert Prozent gechillt ist une keine Hektik zulässt. Das sorgt insgesamt für eine sehr trockene Atmosphärik, die perfekt die Coolness der Texte spiegelt und als Summe ihrer Teile diese LP trotz ihrer Knappheit zu einem echten Statement macht. Mittendrin ist so wie ein erstes Solo-Mixtape im Optimalfall sein sollte: Ohne viel Schnickschnack und nicht zu experimentell, dafür textlich fokussiert und mit einer Performance des Hauptakteurs, die auffällt. Wobei ich hier noch zusätzlich das Gefühl habe, dass dieser Rapper schon große Teile seines Potenzials erreicht hat. Wenn nicht, dann könnte er vielleicht doch mal einer der ganz großen werden.


Hat was von
Kwam.e
Whut Da Phunk EP

Pop Smoke
Shoot for the Stars Aim For the Moon

Persönliche Höhepunkte
Topfit | Ruf an | Mr. X | Fanta Shokata | 17:38 | Augenringe | Mond

Nicht mein Fall
-

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