Mittwoch, 14. Oktober 2020

Hi Kids, ich bin Kelly




[ adoleszent | angsty | catchy ]
 
 Es ist ja schon eine witzige Tatsache, dass sich 2020 ein kommerzieller Rapper, der mit seinem Material bisher auch nicht eben unerfolgreich war, einmal komplett neu erfindet und plötzlich ein Pop-Punk-Album aufnimmt. Und es ist auch witzig, dass dieser Typ genau das braucht, um wirklich einen Unterschied zu machen. Aber wenn wir ernsthaft über die neue LP von Machine Gun Kelly reden wollen, dann sind diese Parameter gerade erst der Anfang und die absolute Lächerlichkeit dieses Projekts ebensowenig angerissen wie der Umstand, dass es auf irgendeine Art auch ziemlich genial ist. Zunächst ist aber eine Sache ganz besonders wichtig: Man sollte auf keinen Fall versuchen, das hier auf irgendeine Art und Weise ernst zu nehmen. Denn nur so kann es gelingen, hieraus einen gewissen Mehrwert zu ziehen. Und der beginnt schon mit dem Setting, das Machine Gun Kelly auf diesem Album mitbringt. Einige behaupten ja, dass diese Platte nur deshalb entstanden ist, weil MGK nach seinem letztjährigen Beef mit Eminem jegliche Kredibilität als Hiphop-Charakter verloren hätte, wieder andere machen den Flop dafür verantwortlich, der sein letztes Album Hotel Diablo kritisch wie kommerziell war. Die Gründe dafür sind mir persönlich am Ende egal, Fakt ist aber, dass es hier ein Typ Anfang 30 für eine gute Idee hält, einen künstlerischen Stilbruch zu vollziehen, der ihn auf das geistige Level eines Sechzehnjährigen zurückwirft. Die Implikationen dieser Grundidee halten mich auf jeden Fall seit einigen Tagen wach. Egal ob die Motivation dieser Idee inhaltlicher Anschluss an jugendliche Zielgruppen, eigene Nostalgie oder tatsächliche, tief empfundene Emotionen waren, es fühlt sich auf jeden Fall ein kleines bisschen creepy an. Tickets to My Downfall ist der musikgewordene Typ, der schon die ersten grauen Haare hat, aber immer noch im Skatepark rumhängt und mit Oberschüler*innen kifft. Das Problem ist dabei nicht mal, dass er klingt wie eine etwas zu lange gegärbte Version von Blink-182 und Avril Lavigne, das machen die echten Blink-182s und Avril Lavignes ja auch, nur haben die wenigstens ihre Themen weiterentwickelt. Kellys Songs hingegen klingen so, als hätte er einen siebzehnjährigen Fuckboy als Ghostwriter engagiert, den nach zwei Monaten gerade seine erste Freundin verlassen hat und der deshalb nicht nur die Vorzüge des gepflegten Vollrauschs, sondern auch seine poetische Seite entdeckt. Es ist mitunter ein kleines bisschen bedenklich, mit etwas Abstand aber vor allem unterhaltend. Wer sich traut, Zeilen wie "If I'm a painter, I'd be a depressionist" allen ernstes auf so einer LP unterzubringen, der hat auf jeden Fall Mumm. Und wenn ich für eines zu begeistern bin, dann eine gute Portion Kitsch. Vor allem bei Emorock, der sowieso nur dann gut ist, wenn er etwas zu adoleszent und angsty für den guten Geschmack ausfällt. Was Tickets to My Downfall außerdem hilft, ist das extrem eingängige Songwriting und der stimmige Gesamtklang, der zwar ebenfalls sehr stereotypisch funktioniert, aber gerade deswegen auch funktioniert. Die Hooks sind fantastisch, Kelly verkauft die rotznasige Sad Boy-Attitüde performativ genial und die wenigen Features hier (unter anderem von Trippie Redd und Halsey) sind einwandfrei gesetzt. Wäre das hier tatsächlich die LP eines jungen Newcomers vom Schlag Juice WRLD oder XXXtentacion, es wäre ein veritables künstlerisches Sprungbrett. Nur ist der Kontext der Vorgeschichte in diesem Fall der bestimmende Faktor, der es stattdessen ein bisschen zu einer Farce werden lässt. Das Album ist deswegen nicht schlecht, nur eben nicht ernstzunehmen. Aber immerhin: Jetzt reden die Leute endlich wieder über Machine Gun Kelly.



Hat was von
Blink-182
Nine

Fidlar
Too

Persönliche Höhepunkte
Drunk Face | Bloody Valentine | Forget Me Too | Lonely | Kevin & Barracuda (Interlude) | Concert for Aliens | My Ex's Best Friend | Banyan Tree (Interlude) | Play This When I'm Gone

Nicht mein Fall
-

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