Sonntag, 4. Oktober 2020

Zehn Jahre später: Von Füchsen, Kreisen, Monstern und Schinken

  Shaban & Käptn Peng - Die Zähmung der Hydra

 
[ metaphysisch | wortgewandt | naiv ]
 
Käptn Peng ist in der letzten Dekade deutschsprachiger Popmusik eine Figur geworden, die mindestens von genausvielen Menschen gehasst wie geliebt wird, und schaut man sich die von ihm in dieser Zeit aufgebaute Ästhetik an, ist nicht verwunderlich, warum das so ist. In einer so übersättigten Landschaft wie Deutschrap hat es das Musikprojekt des Berliner Multitalents Robert Gwisdek vom ersten Moment an geschafft, eine Stilistik zu finden, die ziemlich einzigartig und unnachahmlich ist. Von seiner verkopften, spielerischen Sprache über die rudimentär-zweckentfremdete Kompositorik bishin zu seinen ausgeflippten Kunstfilm-Projekten und dem skurrilen Romandebüt Der unsichtbare Apfel von 2014 ist Peng ein Charakter, der grundlegend seinesgleichen sucht und dadurch gleichermaßen verwirrt, fasziniert und abstößt. Ich selbst bin dabei bereits auf beiden Seiten der Kontroverse gewesen und kann sowohl Kritik an als auch Obsession mit seinem Output irgendwie verstehen. Wobei der letzte Schluss der Sache irgendwie immer ist, dass Vergleiche seiner Musik mit irgendwelchen anderen Deutschrap-Projekten müßig sind. Selbst die schon sehr grobe Genre-Zuschreibung fühlt sich bei ihm irgendwie falsch und ungenügend an. Vor allem auch deshalb, weil die Grundidee, die Pengs Ästhetik ausmacht, keine ist, die sich entwickeln musste, sondern die bereits auf diesem Debüt hier ziemlich ausformuliert einfach da ist. Zwar gibt es auf Die Zähmung der Hydra noch nicht die Begleitband Tentakel von Delphi, die später untrennbar mit Gwisdeks Musik in Verbindung stehen würde, doch mit Shaban immerhin schon den wesentlichen Sound-Bastler hinter der Gruppe, der hier bereits eine ähnliche Klanglandschaft bastelt. Sein Handwerkszeug sind dabei schon hier Beats, die aus sehr simplen Quellen speisen und daher nicht selten etwas dillettantisch wirken. 8-Bit-Synths, billige Keyboard-Sounds, wenige Rhythmusinstrumente und hier und da mal gekonnt platzierte Backing-Vocals: Shabans klangliche Hintergrundarbeit verortet sich selbst irgendwo zwischen Straßenmusik, Stomp und Hobbykeller, passt aber als solche genau in das Bild, was hier entstehen soll. Denn Dubstep-Beats und Highend-Produktion wären wohl definitiv nicht der passende Backdrop für einen lyrischen Charakter wie Peng gewesen, der ebenfalls ein absoluter Exot ist und immer auch ein bisschen so wirkt, als hätte man ihn gerade in der Fußgängerzone aufgesammelt. Seine Art zu texten entstammt irgendwie den Einflüssen der norddeutschen Rap-Schule um Fettes Brot, Neonschwarz und vor allem Dendemann, ist aber irgendwo zwischendurch gefährlich mutiert und hat ein paar zu viele Bücher über Astrophysik, griechische Mythologie und Existenzialismus verschlungen. Ob Gwisdeks Texte tatsächlich eine Botschaft haben oder nur mit nerdigen Theorien umhernudeln, habe ich bis heute nicht wirklich begriffen, Fakt ist, dass es in den meisten Stellen auf Die Zähmung der Hydra um die Themen Erkenntnis, Wissen, Zusammensetzung menschlicher Verständnisse und kognitiver Aufbauten geht. Der Tenor ist dabei meist, dass geläufige Denkstrukturen zunächst dekonstruiert gehören, um die Voraussetzung für tatsächlichen Erkenntnisgewinn zu schaffen. So weit, so kompliziert. Was Pengs Ansatz bei all dem gehirnwaschenden Gewäsch aber irgendwie sympathisch macht, ist seine Naivität und die Art, das ganze mit der Unbeschwertheit eines Peter Lustig und dem gedanklichen Fokus eines Helge Schneider zu dechiffrieren. Das kann in Form ganz kleiner Zwischentöne sein, durch den generell sehr spielerischen Aufbau der Kompositionen, aber auch durch Tracks wie Haus brennt, die komplett jeder Logik entbehren. Nicht alle lyrischen wie musikalischen Handgriffe sind dabei stilsicher und Rap-Purist*innen kommt ob einiger Haus-Maus-Reimschemen und üblen Formulierungen zu recht regelmäßig das Schaudern. Angesichts der Herangehensweise, die Shaban und Peng hier fahren, ist es jedoch erstaunlich, wie stabil viele Momente dieser LP am Ende doch sind. Das häufige Hiphop-Problem schnell alternder Trendplatten entgehen die beiden dadurch, dass sie einfach keinem Trend folgen, die Performances sind nicht technisch, aber energisch und was musikalisch zu aufwändig ist, kaschiert die Platte gekonnt durch souveräne Selbstironie. Wobei einige Highlights des Albums ganz einfach zeitlos sind: Haus brennt hat in zehn Jahren nur an genialem Running Gag-Faktor gewonnen (Wassermoleküle beeinträchtigen den Onk-Faktor!), Parantatatam ist mit Sicherheit der eingängigste Song der Platte, Sein Name sei Peng trifft als Opener gleich alle möglichen Nägel auf den Kopf und Sie mögen sich ist wahrscheinlich für immer der ergreifendste Story-Song, den Gwisdek je geschrieben hat. Abgesehen von diesen offensichtlichen Stücken, die mir durch die Jahre immer irgendwie im Bewusstsein geblieben sind, war ich beim Wiederhören der LP erstaunt, wie viele ernsthaft tolle Deep Cuts hier zu finden sind, die ich komplett vergessen hatte. Songs wie Flotten von Mutanten, Die Störung, Keine Ahnung oder Alles ist Käptn, die den "Hits" des Albums in wenig nachstehen. Was mich zusätzlich überraschte, waren die ziemlich pompösen Dimensionen von Die Zähmung der Hydra mit immerhin 15 Songs in 70 Minuten, einige davon weit jenseits der Fünf-Minuten-Marke. Letzteres war dann tatsächlich ein Punkt, der mir diesmal eher negativ auffiel, da die Platte mit ihrem Instrumentarium aus Kinderspielzeug und den groß gewälzten Ideen in den Lyrics ab einem gewissen Punkt doch etwas übersättigt wirkt. Und gerade Songs wie Kampf mit der Hydra oder Werbistich hätten ein paar Kürzungen nicht geschadet. Grundsätzlich sind das aber kleine Makel angesichts meiner Erwartung, diese LP so viele Jahre später eigentlich ziemlich beschissen zu finden. Sicher würde ich ob dieser Musik heute in keine derartige Obession verfallen wie ich es als Teenager tat, doch unterhaltsam finde ich das hier immer noch sehr. Ganz abgsehen davon, dass hier ein absolut einzigartiges und bisweilen zeitloses Album gemacht wurde, was objektiv gesehen irgendwie beeindruckend ist. Am Ende also mal wieder die Erkenntnis, dass mein Geschmack von früher gar nicht so beschissen war, wie ich selbst vermutet habe. Oder dass ich nostalgisch werde. Vielleicht beides.
 

Hat was von
Johnny Mauser
Die Sendung mit dem Mauser

Dendemann
Die Pfütze des Eisberges

Persönliche Höhepunkte
Sein Name sei Peng | Oha | Sie mögen sich | Parantatatam | Die Störung | Haus brennt | Keine Ahnung | Kündigung 2.0 | Flotten von Mutanten | Von Form zu Form | Der Stein des Wahnsinns | Alles ist Käptn

Nicht mein Fall
Kampf mit der Hydra | Anfangen Aufhören Auffangen Anhören

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