Mittwoch, 1. Dezember 2021

Der hinkende Selbstläufer

Silk Sonic - An Evening With Silk SonicSILK SONIC
An Evening With Silk Sonic
Aftermath | Atlantic
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ sülzig | retro | geschmeidig | eingängig ]
 
Das beste, was man schon vor einigen Monaten, als sich das Projekt Silk Sonic in Form ihrer ersten Single Leave the Door Open das erste Mal öffentlich materialisierte, darüber sagen konnte, war dass es sich dabei objektiv um eine ziemlich gute Idee handelte, von der man sich fast fragte, wieso sie noch niemand früher hatte. Eine gemeinsame LP von Bruno Mars und Anderson .Paak war als Konzept etwas, das unglaublich viel Sinn ergab und wie die buchstäbliche Faust aufs Auge passte. Zwei unfassbar talentierte Meganerds im Bereich retrofixierter Soul- und Funk-Musik, deren Beschäftigung mit oldschooligen Sounds nicht nur herrlich obsessiv ist, sondern am Ende des Tages auch zwei extrem fähige Entertainer vereint, die aus so gut wie allem allem einen gigantischen Hit machen können. In den Diskografien des einen wie des anderen findet man in den letzten Jahren jede Menge beeindruckende Beweise dafür und dass sie hier zusammenfinden, erschien schon im Vornherein wie ein Aufeinandertreffen großer Geister. Was nicht eben dadurch gemindert wurde, dass in den Credits der fertigen Platte auch Leute wie Thundercat, Bootsy Collins und James Fauntleroy auftauchen, die ebenfalls gewaltige Sporen als feste Größen dieser Musikrichtung aufweisen können. Die Frage war im Vorfeld also weniger, ob das hier funktionieren könnte, sondern eher, was daran eigentlich schief gehen kann. Und wie sich herausstellt, ist das dann doch so einiges. Wobei ich damit hier eigentlich nicht anfangen möchte, denn wenn ich mir An Evening With Silk Sonic ansehe, muss ich als erstes feststellen, wie sehr es doch den universellen Erwartungen entspricht. Auf etwas mehr als 30 Minuten erleben wir hier ingesamt neun sehr detailverliebte Soul- und Funk-Nummern, die definitiv das Produkt einer glühenden Leidenschaft für die Klassiker der Siebziger, insbesondere Al Green, Marvin Gaye, den frühen Michael Jackson und Cutis Mayfield sind. Mars und Paak zeigen sich dabei auch wenig überraschend als nonchalant geniale Performer, die sich großartig ergänzen. Besonders positiv fällt mir dabei immer wieder letzterer auf, der auf dieser LP endlich mal so richtig als das multiinstrumentale Wunderkind glänzen kann, das er schon lange ist und vor allem am Schlagzeug die Show seines Lebens hinlegt. Mars lässt sich auf der anderen Seite natürlich seine Big Dick Energy als charismatischer Frontmann nicht nehmen und ist dabei - obwohl auch Paak alles andere als ein schlechter Sänger ist - ganz einfach in seinem Element. Der über jeden Zweifel erhabene Selbstläufer, den ich mir dabei  vorgestellt hatte, ist Silk Sonic am Ende dann aber doch nicht geworden. Was vor allem daran liegt, wie die beiden hier die Dynamik aufbauen, die über weite Teile der Platte leider ein bisschen schief hängt und direkt mit dem Opener Leave the Door Open anfängt. Der ist zwar schon irgendwie die Leadsingle und irgendwie schon sehr catchy, dabei allerdings in keiner Weise der kolossale Banger, den Sekunden zuvor das Silk Sonic Intro spannungsmäßig aufbaut, sondern eher ein akzeptabler Slowjam. Und obwohl mit Fly As Me danach doch noch ein zackiger Track anschließt, ist dieser a) bis dahin der schwächste der Platte und b) zu wenig zu spät. Und auch der Rest der LP geht überraschend wenig nach vorne und verharrt vielmehr in einem rotlichtgeschwängerten Schlafzimmerblick, der sonst höchstens den letzten 3 Songs auf einer Platte vorbehalten ist und zwar für sich okay ist, aber mir zu schnell die Spannung aufgibt, die diese beiden songwriterisch haben. Überraschend ist das auf eine Art wenig, da schon das letzte Album von Bruno Mars ein ähnliches "Problem" hatte, allerdings waren auf dem Ding wenigstens auch die ganzen Schmusenummern richtig gut. Hier hingegen geht dieses Konzept nicht immer ganz so gut auf, sei es aufgrund der fehlenden Hooks einiger Titel oder ob des Umstandes, dass Silk Sonic an vielen Stellen lyrisch ziemlich schwächelt (was ist zum Beispiel mit dem Moment, wo Leave the Door Open versucht, mir Gras und Kartoffelchips als luxuriös und sexy anzudrehen). Es gibt Nummern wie After Last Night und Skate, die toll funktionieren, für zwei so talentierte Musiker wie die beiden ist das aber keine besonders erfolgreiche Quote. Und wenn es um richtige Jams geht, die auch mal aus der Slowjam-Ecke heraustreten, überzeugt mich so richtig nur das dekadente 777 im Mittelteil. Obwohl Silk Sonic also grundsätzlich ein gelungenes Album ist, kann es mich in den Einzelheiten nur selten überzeugen. Oder um es anders zu sagen: Für irgendeine dahergelaufene Gruppe von Niemanden wäre eine Platte wie diese ein Ergebnis, auf das man stolz sein kann. Für einen Bruno Mars und einen Anderson. Paak allerdings ist es eher so mittelgut. Es reicht noch immer, dass ich ihnen fast alle der gefühlt tausend Grammys gönne, für die sie jüngst nominiert worden sind, für mich persönlich ist es aber in keiner Diskografie der beiden ein Highlight. Aber so ist das eben mit den prognostizierten Selbstläufern: Sie tun das gewünschte, lassen mich aber auch nicht länger innehalten. Und ans Staunen hat man sich bei diesen zwei Musikern wohl einfach schon zu sehr gewöhnt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Silk Sonic Intro | After Last Night | 777 | Skate

Nicht mein Fall
Fly As Me


Hat was von
Al Green
Let's Stay Together

Marvin Gaye
I Want You


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