Mittwoch, 8. Dezember 2021

Die Quotenlady

Adele - 30
ADELE
30
Columbia
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ getragen | zugänglich | soulig ]
 
Es gibt mir als Musikfan im Nachhinein schon irgendwie eine gewisse Genugtuung und ein Gefühl der universellen Gerechtigkeit, dass die erfolgreichste Künstlerin der gesamten letzten Dekade - zumindest wenn man den allermeisten zählweisen glaubt - Adele Adkins ist. Nicht nur deshalb, weil ich finde, dass sie grundsätzlich coolere Musik macht die üblichen Verdächtigen als Ed Sheeran, BTS oder Eminem, die in dieser Zeit ebenfalls extrem erfolgreich waren, sondern am Ende vor allem deshalb, weil sie eine der wenigen Leute ist, die sich dafür nicht anbiedern mussten. Wobei die ganze Sache nochmal beeindruckender wird, wenn man sie erstmal ins richtige Verhältnis setzt. Denn im Unterschied zu beispielsweise einem Drake, der seit etlichen Jahren so gut wie jede Saison eine neue Platte veröffentlicht, die mittels wissenschaftlicher Nutzungsanalyen von Spotify für das optimale Streamingergebnis zurechtgeschliffen wurde, schaffte sie ein kommerziell noch viel krasseres Ergebnis mit gerade mal zwei verhältnismäßig normalen Alben, die ideell eher aus einer Zeit kommen, in der man Musik noch kaufte. Wie genau dabei ihr Erfolgsrezept lautet, darüber lässt sich lange und ausführlich debattieren. Was es uns jedoch als Resultat zeigt ist, dass der Algorithmus den großen Krieg um die Verführung der Massen noch nicht komplett gewonnen hat. Auch im Winter 2021 nicht, als wieder mal das erste Adele-Album seit einer ganzen Weile erschien und innerhalb von Tagen zahlreiche Verkaufsrekorde purzeln ließ. Dass diese Frau ihre Spuren in der jüngeren Musikgeschichte hinterlassen hat, sollte also unumstößlich sein. Umso seltsamer ist es deswegen jedoch, dass ich mir zu ihr und ihrem Output in dieser Zeit nie eine richtige Meinung gebildet habe und mir immer noch etwas unklar darüber bin, was diese Künstlerin für mich bedeutet. Sicher fand ich sowohl 21 als auch 25 grundsätzlich ganz cool, nie jedoch ging diese Einschätzung wirklich über die Auseinandersetzung mit individuellen Tracks hinaus. Und das, obwohl sowohl ihre alten Alben als auch dieses neue durchaus konzeptuell verbunden sind. Gerade auf 30 findet sich mit Adeles Scheidung und den damit verbundenen emotionalen Verstrickungen wieder mal ein sehr starkes Narrativ, das eigentlich viel hergibt. Nur habe ich dabei erneut das Problem, dass es sich mir als inhaltiche Klammer weder so richtig offenbart noch mich ernsthaft mitnimmt. Der große tragische Tiefgang, den viele bei dieser Künstlerin als stärkstes kompositorisches Werkzeug sehen, übersetzt sich mir mal wieder nur unzureichend, was sicherlich dazu führt, dass ich diese Musik anders wahrnehme. Dass ich sie deshalb nicht mag, bedeutet das aber keineswegs. Denn glücklicherweise ist Adele Adkins nicht nur eine zu recht berüchtigte Heulboje, sondern bei alledem auch nach wie vor eine ziemlich gute Songwriterin. Wobei 30 ein weiteres dieser Alben ist, das sehr gut daran tut, vom Grundaufbau der kraftvollen Soulballade in viele spannende Richtungen auszubrechen. Da gibt es Nummern wie Cry Your Heart Out oder All Night Parking, die mich ein bisschen an die früheren Sachen von Amy Winehouse erinnern und auch irgendwie gute Popsongs sein wollen, große sinfonische Nummern wie Strangers By Nature oder Love is A Game, die mit ihren opulenten Streicherparts Adeles inneren Sinatra channeln und auch etwas exotische Tracks wie das eher gitarrenlastig-edsheeraneske Can I Get It oder My Little Love, das mit seinen smoothen Drumparts schon fast in Richtung Triphop und Downtempo geht. Viele künstlerische Entscheidungen sind dabei grundsätzlich recht cool und in seinen besten Momenten schafft es 30 tatsächlich wieder mal, nach großem Soul zu klingen. An anderen wiederum sind die Wege der Platte eher ein bisschen fragwürdig. So ist My Little Love eigentlich kein schlechter Song, wäre es nicht um die eingesampleten Dialogfetzen zwischen der Künstlerin und ihrer Tochter, die an vielen Stellen einfach too much information sind. Auch finde ich an nicht wenigen Stellen die Textarbeit von Adele etwas zu tränendrüsig und verschnieft, was weniger mit dem Inhalt an sich zu tun als mit der Art und Weise, wie dabei gängige Trennungsalben-Klischees bedient werden (die ja auch schon auf 21 sehr viel Platz einnahmen). Und wann immer es Momente gibt, in denen die Platte musikalisch nicht ausbricht und sich eher am klassischen Einmaleins-Songwriting bedient, dass man inzwischen schon seit 19 kennt, finde ich das inzwischen einfach ein bisschen langweilig. Easy On Me ist dabei zwar nochmal die wesentlich coolere Leadsingle als vor sechs Jahren Hello, ein schmandiges To Be Loved oder Oh My God hätte es in meinen Augen aber nicht gebraucht. Zumal das ganze Ding mit fast einer Stunde Spielzeit (inklusive dreier Songs über sechs Minuten als großes Finale) eh schon ganz schön happig ist. Dass ich 30 ernsthaft schwächer finde als seine Vorgänger, heißt das aber nicht unbedingt. Vom der grundsätzlichen kompositorischen Qualität (und Kreativität) von Adele ist hier nach wie vor viel vorhanden und wie schon bei den beiden Vorgängern gibt es dabei eben gelungene und weniger gelungene Tracks. Wenn sich eine Sache für mich wirklich verändert hat, dann ist es eine marginale Übersättigung mit der Grundrezeptur der Künstlerin, die ich inzwischen einfach schon zu gut kenne. Wobei ich auch hier definitiv meinen Hut davor ziehen muss, wie stilvoll diese insgesamt gealtert ist. Und dass mich ihre Songs emotional nun mal nicht so sehr packen wie viele andere, kenne ich ja schon von ihren früheren Sachen. Dass es hier also auch nach sechs Jahren wenige Überraschungen gibt, ist also vielleicht das beste, was ich über 30 sagen kann. Denn wenn sich nichts ändert, heißt das auch, dass die solide Struktur der Adele Adkins nicht wackelt. Und nach vier mehr oder weniger sehr ähnlichen Alben ist das schon eine echt gute Bilanz.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Strangers By Nature | Easy On Me | Cry Your Heart Out | All Night Parking | Love is A Game

Nicht mein Fall
Oh My God | Woman Like Me | To Be Loved


Hat was von
Sam Smith
In the Lonely Hour

Amy Winehouse
Frank


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