Montag, 6. Dezember 2021

Rückschritt im Fortschritt

Der Weg einer Freiheit - NoktvrnDER WEG EINER FREIHEIT
Noktvrn
Season of Mist
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ postrockig | verspielt | episch ]

Es ist eine der ewigen leidigen Fragen des Musikfan-Daseins, die sich auch mir immer wieder aufbäumt und die auch nie wirklich aufhört, Spannung zu erzeugen: Wie macht eine Band oder ein*e Künstler*in musikalisch weiter, die ihr größtes Opus Magnum gerade hinter sich gebracht hat und an ein Album anschließen muss, das ihre Karriere künstlerisch neu definiert hat? Versucht man, das letzte Ding noch zu toppen und geht damit das Risiko ein, sich kolossal zu verheben? Backt man lieber kleine Brötchen und geht zurück zu den eigenen Wurzeln? Oder versucht man sich an etwas komplett neuem, in der Hoffnung, kreativ nochmal ganz andere Knöpfe zu drücken? Eine Entscheidung, vor der in meinen Augen auch Der Weg einer Freiheit in den letzten Jahren eine Lösung finden mussten, zumindest wenn man mich nach meiner ganz eigenen subjektiven Auffassung fragt. Denn obwohl Finisterre, ihr letztes Album von 2017, sicherlich kein OK Computer war und weder kritisch noch kommerziell einen krassen Unterschied für die Bayern machte, ist es für mich persönlich doch ein sehr besonderes Stück Musik geworden, das mir einiges bedeutet. Nicht nur deshalb, weil es für mich künstlerisch die finale Form repräsentiert, die diese Band mit dem seit ihrem Debüt 2009 aufgebauten Stil erreichen konnte, sondern auch, weil es damit automatisch eine der besten Metalplatten der gesamten Zwotausendzehner war. Sowohl kompositorisch als auch klanglich, lyrisch und technisch. Und gepaart mit der Leidenschaft, die ich auch schon für ihre letzten paar Alben hege sowie den vier Jahren, die seitdem vergangen sind, war ich natürlich wahnsinnig gespannt auf einen Nachfolger, der mit Noktvrn nun endlich erscheint. Obwohl ich dabei im Grund genommen auch sehr skeptisch war, wie die Gruppe aus Würzburg diesen künstlerisch angehen würden, wobei eine schlichte Wiederholung der auf Finisterre etablierten Parameter in meinen Augen kaum zu einem gleichwertigen, geschweige denn besseren Ergebnis hätte führen können. Zum Glück scheint aber auch die Band selbst auf diesen Trichter gekommen zu sein, beziehungsweise musikalisch einfach den nächsten Schritt gegangen zu sein, denn obwohl Noktvrn kompositorisch weiter die Spuren des Vorgängers beschreitet, ist es in vielen Hinsichten ein sehr anderes Erlebnis. Wobei Der Weg einer Freiheit sowohl die vorteilhaften Eigenschaften ihrer Ästhetik ausbauen, als auch erstmals seit langem wieder ein paar eher fragwürdige Entscheidungen treffen. Aber fangen wir mal mit den guten Sachen an: Da gefällt es mir zum Beispiel sehr, dass die Band hier weiter großartig an ihren epischen Dynamiken arbeitet und dafür anscheinend auch immer mehr in Richtung der Synth-Passagen driftet, die schon auf dem Vorgänger eine richtig gute Entscheidung waren. In diesem Sinne mag ich es außerdem sehr, dass sie hier insgesamt ein sehr viel leichteres Album aufnehmen, das stärker auf Melodien setzt und stellenweise schon fast postrockig anklingt. Als eine der talentiertesten Gruppen im Bereich des atmosphärischen Black Metal sind auch sie mindestens genauso gute Songwriter, wenn sie gerade Mal keinen Lärm machen und Songs wie Gegen das Licht oder Immortal zeigen das noch stärker als viele Stellen auf dem doch sehr druckvollen Finisterre. Wobei es auch durchaus hilft, dass die Produktion hier oft so gelagert ist, dass man tatsächlich auch mal Nikita Kamprads Texte versteht, die in meinen Augen schon lange ein unterschätztes Highlight im Oeuvre dieser Band sind und hier an vielen Stellen wieder ziemlich fantastisch. Zumindest, und hier kommt der erste große Haken von Noktvrn, wenn Kamprad diese wie üblich auch auf deutsch verfasst und nicht auf englisch, wie es in zwei Stücken hier erstmals der Fall ist. Wobei an diesen Tracks auch mehr als nur die ungewohnte sprachliche Ausrichtung das Problem ist. Dass die Bayern hier ein gut durchwirktes und charakteristisches lyrisches Konzept für ein paar eher halbgare englische Zeilen aufgeben, kann ich ja noch irgendwie verschmerzen, zumal die beiden Songs die das betrifft, Immortal und Haven, an sich gar nicht übel sind. Was mich daran viel eher verwirrt ist, dass sie mit ihrem ätherischen Postrock-Vibe und dem oft cleanen Gesangspassagen auch klanglich komplett anders konzipiert sind der sehr klassisch blackmetalige Rest des Albums und damit aus dem Gesamtkonzept leider ziemlich rausfallen. Es wirkt somit ein bisschen so, als hätten Der Weg einer Freiheit hier zwei Hälften völlig verschiedener Platten ineinandergepuzzlet, ohne die songwriterischen Nuancen dazwischen zu beachten. Und an dieser Stelle fehlt mir dann doch irgendwie die Konsequenz des künstlerischen Schrittes, der ihre letzten Sachen erst so richtig gut machte. Was ja nicht heißt, dass ich die neue Richtung prinzipiell verurteile. Es wäre sicherlich interessant gewesen, hier ein Album zu hören, das ausschließlich aus Tracks der Sorte Immortal und Haven besteht und über brachiale Blackgaze-Btetter wie Monument oder Morgen, die zu den größten Kernkompetenzen der Bayern gehören, will ich mich erst recht nicht beschweren. Nur beides zusammen wirkt irgendwie komisch. Und es sorgt zum ersten Mal seit den frühen Sachen der Band auch dafür, dass sich eine Platte von ihnen strukturell verwässert und ein bisschen zusammengeschustert anhört. Dass ich dabei hier auf sehr hohem Niveau jammere und die Songs an sich immer noch fantastisch sind, weiß ich dabei genaso sehr wie dass dieses Album prinzipiell in eine sehr spannende Richtung weist, deren weitere Ausführung mich extrem neugierig macht. Dennoch: Der Weg einer Freiheit haben sich in den letzten zehn Jahren zu einer Band entwickelt, die solche Übergangsplatten eigentlich nicht mehr nötig hat und gerade was Kontextualität und Gesamtklang angeht, waren sie eigentlich zuletzt immer besser als andere. Dass sie hier wieder in diesen mittelprächtigen Modus fallen, ist in meinen Augen also durchaus ein Rückschritt. Wobei die gute Nachricht ist, dass es den vielleicht braucht, um im folgenden Anlauf für einen noch größeren Schub nach vorne zu nehmen, den wir dann in ein paar Jahren hören können. Aber das sollte ich dann doch lieber erst abwarten.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Monument | Am Rande der Dunkelheit | Morgen | Gegen das Licht | Haven

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Fjørt
D'Accord
 
Grima
Rotten Garden
 
 

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