Dienstag, 16. November 2021

Abgefucktes Bardentum

Tristan Brusch - Am RestTRISTAN BRUSCH
Am Rest
Die-Ai-Wei
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ liedermacherisch | melancholisch | ironisch ]

Es ist wahrscheinlich die einfache Variante, den Musiker Tristan Brusch ganz einfach als Teil eines größeren Trends zu sehen. Als einer von den vielen jungen Henning Mays, Ali Neumanns, Fynn Kliemanns und Max Grubers, die seit etlichen Jahren mal mehr, mal weniger erfolgreich die Republik überfluten und die, wenn man genau hinschaut, auch alle irgendwie aus der gleichen Bubble kommen. Ich persönlich kenne den Tübinger ja ursprünglich von der Zeit, als er der Sparringpartner von Maeckes auf dessen Tilt!-Album war, habe ihn danach auf Songs von Mine und Fatoni gehört und erfuhr von diesem neuesten Projekt aus dem Podcast von Casper und Drangsal, die sich ebenfalls als enge Kollegen von ihm verstehen. Und wo man all diese Verbindungen definitiv nicht bestreiten kann und sie vor allem auch dafür verantwortlich scheint, dass der Name Tristan Brusch mittlerweile einen gewissen Wiedererkennungseffekt in der deutschsprachigen Musiklandschaft hat, war es mir für diesen Artikel viel eher wichtig zu definieren, wodurch er sich von all diesen Künstler*innen eigentlich unterscheidet. Denn wenn man mich fragt, gibt es durchaus ein gewisses Etwas, das ihn in diesem recht weiten Feld von Acts besonders macht, und das in meinen Augen sowohl sein größter Trumpf als auch seine größte Schwäche ist. Die Rede ist dabei von seinem Hang zu relativ altmodischen Liedermacher-Motiven, die schon auf seiner letzten LP Das Paradies von 2018 irgendwie präsent waren, hier aber noch mal ein Stück mehr Platz einnehmen und die ich hochgradig kurios finde. Und sicher ist Brusch dabei kein komplett retrofixierter Typ und benutzt als Vokabular durchaus ein sehr modernes. So geht es in der zweiten Strophe von Ein Wort auf sehr lyrische Weise um virtuelles Erinnerungsmanagement und Krone der Schöpfung behandelt tagesaktuelle politische Gemengelagen wie EU-Außengrenzen und die Klimakrise. Wenn es allerdings um die Umsetzung geht, hat Brusch dann doch gerne mal etwas sehr gundermannsch-degenhardtsches, das objektiv gesehen erstmal anachronistisch wirkt. Und ich kann auch nicht abstreiten, dass es von der Idee her einen gewissen Charme ausmacht. Andererseits sorgt es auch dafür, dass Brusch sich hier lyrischer Strukturen und Begrifflichkeiten bedient, von denen ich eigentlich froh war, dass sie im deutschen Songwriterpop inzwischen größtenteils überwunden sind und gerade wenn es um Gesellschaftskritik geht, finde ich seine Beobachtungen mitunter auch ganz schön unoriginell. Songs wie Zwei Wunder am Tag oder Krone der Schöpfung bedienen sich im Versuch um einen sozial-zeitgeistigen Kommentar äußerst grober Motive und selbst wenn Brusch im gleichen Moment auch den Schneid hat, in solchen Texten ein Wort wie "Fressfotze" einzubauen, macht es das auch nur sehr kurz besser. Dass dieser Ansatz überhaupt nicht funktioniert, kann man deshalb trotzdem nicht behaupten. Denn kommen wir erstmal zu den melancholisch-balladigen Songs auf Am Rest, wie zu Beispiel dem Titelsong, Schoenleinstraße oder 2006, ist die gleiche Herangehensweise plötzlich sehr wirkmächtig und sorgt für ein paar wahrhaft poetische Passagen. Hier findet der Tübinger einen genialen Sweet Spot, den er so gut auch auf seinen Vorgängern nicht traf und der ihn an den besten Stellen tatsächlich zu einem sehr besonderen Songwriter macht. Hervorheben möchte ich in dieser Hinsicht den Track Das Leben ist so schön, den Closer und mit Abstand besten Song des Albums. In dem kann Brusch nämlich seine übliche Ästhetik so weit vom typischen Popschema lösen, dass ein ebenso melancholisches wie aberwitziges Selbstportät dabei rauskommt, von dem ich wirklich bereit bin, es groß zu nennen. In Augenblicken wie diesen hat er dann auch jene Qualität, die das ganze olle Liedermacher-Zeug in seinen besten Phasen so zeitlos und folkloristisch machen und bei denen sich diese Bezugnahme wirklich lohnt. Mit dem Nachteil, dass er die ganzen peinlichen Attribute auf den anderen Stücken trotzdem noch mitnimmt. Und was am Ende davon nun eigentlich er selbst ist und was Inspiration von Anderen, lässt sich auch noch eher schwer trennen. Aber das ist ein Problem, was der Tristan Brusch der Zukunft vor sich hat. Für den Moment hat er hier erstmal ganz gute Arbeit geleistet.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Am Rest | Ein Wort | Schoenleinstraße | 2006 | Das Leben ist so schön

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Gerhard Gundermann
Männer, Frauen und Maschinen

the Düsseldorf Düsterboys
Nenn mich Musik


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen