Donnerstag, 27. Oktober 2016

Beste Zeit

MAECKES
Tilt


Chimperator / 2016















Ich hätte meine Besprechung zu Tilt gerne wesentlich eher gemacht, denn im Anbetracht der Tatsache, dass ich Maeckes als den vielleicht interessantesten deutschen Rapper sehe, ich dieses Album schon seit einer gefühlten Ewigkeit mit Freuden erwarte und es nun schon seit fast einer Woche draußen ist, ist es komisch, es erst jetzt zu schreiben. Doch abgesehen von ein paar infrastrukturellen Problemen wollte ich mich dieser imposanten Platte auch mit der richtigen Vorbereitung nähern, denn ihre inhaltlichen Dimensionen haben mch im ersten Moment doch ein wenig überfodert. Fünfzig Minuten Musik als Ergebnis von fast drei Jahren Arbeit sind diese LP letztendlich geworden und damit wahrscheinlich nichts geringeres als die Quintessenz der Solokarriere von Maeckes bis hierhin. Denn obwohl der Stuttgarter sein offizielles Debüt bereits 2010 veröffentlichte und in den letzten Jahren kontinuierlich seine Mixtape-Reihe Null, Eins und Zwei führte, war es doch immer irgendwie noch der Typ von den Orsons, der nebenerwerblich auf ein paar Extraplatten seine experimentelle, melancholische HipHop-Alchemie durchführte. Gerade diesen Maeckes finde ich aber schon seit langem den faszinierenderen und habe mir spätestens seit seinem letzten Mixtape gewünscht, dass er diese Ästhetik endlich auch mal auf ein richtiges Album überträgt und etwas konzeptueller angeht. Dass ich ein paar Jahre später gleich so einen Brocken bekommen würde, war mir dabei nicht klar. Und ich hatte trotz meiner immensen Vorfreude auch bedenken, dass sich Maeckes an dieser Aufgabe vielleicht verhoben hätte. Und ob genau das passiert ist, kommt auf die Perspektive an, mit der man Tilt betrachtet. Ich persönlich kenne und liebe seinen Solo-Output wegen seiner totalen Abstraktion der HipHop-Idee und weil er diese Musik eben nicht einfach nur macht, sondern vollkommen neu denkt. Ich hatte gehofft, dass genau dieser Charakter auch hier einen großen Einfluss findet. Stattdessen ist diese Platte eher ein gesunder Kompromiss aus diesem und dem Orsons-Maeckes geworden, der eben trotzdem ein bisschen kommerziell klingt und auch einen Wert auf gute Hooks legt. Zuerst empfand ich das als einen Nachteil, doch die Art und Weise, wie vor allem die beiden Produzenten Äh, Dings und Tristan Brusch diesen Anspruch handhaben, könnte im Endeffekt nicht besser funktionieren. Statt Ambient-Flächen und minimalistischer Instrumentation gibt es hier große Melodiebögen und aufwändigen Pop-Sound, die sich zu den nach wie vor introvertierten Texte des Hauptakteurs kein bisschen schlechter verhalten. Und letztendlich ist es ja genau dieser Inhalt, der Tilt wirklich ausmacht. Wo man mit Sicherheit sagen kann, dass Maeckes sich in dieser Hinsicht selbst übertroffen hat. Dass wir es hier mit so einem wichtigen Werk zu tun haben, liegt auch daran, dass ein Großteil der Songs hier autobiografischer Natur sind. Gleich die ersten Zeilen des Openers Der Misserfolg gibt mir Unrecht greift unglaublich tief in das Innenleben des Künstlers und bei einigen Titeln, vor allem bei Die Alpen und Kreuz, musste ich die Kopfhörer tatsächlich kurz weglegen. In diesen Momenten merkt man, dass sich die viele Arbeit definitiv gelohnt hat und man ist mehr als beeindruckt. Doch genau deswegen ist es auch wieder doof, wenn Maeckes diese Tour dann nicht durchzieht. Besonders gilt das für den Track Gettin' Jiggy With It, der mich schon im Vorfeld beunruhigte und jetzt tatsächlich genau dieser nichtssagende Platzhalter auf einem ansonsten fantastischen Album ist, der höchstens für ein paar Schmunzler sorgt. Aber auch Wie Alle Kippenstummel zwischen den Bahngleisen zusammen verkauft sich ein bisschen unter Wert und für einen so großen Longplayer hätte ich mir einen stärkeren Closer als Loser gewünscht. Ein Stück wie Wow, das mich im Vorfeld der Veröffentlichung total begeisterte, findet dafür keinen Platz hier. Abgesehen davon jedoch ist Tilt sicherlich genau das, was hier beabsichtigt wurde: Ein karrieredefinierendes Gesamtwerk, das den Maeckes von 2016 auch Abseits von den Orsons positioniert und an dem unter Umständen auch die Deutschrap-Szene zumindest bis Ende des Jahres nicht ohne weiteres vorbeigehen wird. Durch seine Art, HipHop nicht als gesetzten Stil, sondern als wandelbares Element einzusetzen, hat diese LP schon per se etwas revolutionäres und gepaart mit dem Inhalt der Songs und dem Pop-Appeal ergibt sich ein Effekt, den ich ähnlich hatte, als ich das erste Mal XOXO von Casper hörte. Und obwohl Maeckes hier natürlich in einer komplett anderen Ausgangssituation ist, hat er hier doch eine gleichsam immense Strahlkraft, die irgendwie schon immer da war, aber von der die meisten sicherlich erst jetzt erfahren. Und das wurde langsam auch echt mal Zeit, denn im Business ist der Stuttgarter weiß Gott schon etwas länger.
9/11

Beste Songs: Der Misserfolg gibt mir Unrecht / Tilt! / Marie-Byrd-Land / Atomkraftwerke am Strand / Die Alpen / Kreuz / Irgendniemand

Nicht mein Fall: Gettin' Jiggy With It

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