Dienstag, 25. Oktober 2016

Mild High

THE ORB
Cow / Chill Out, World!


Kompakt / 2016















Meine Generation von Musikfans hat von ihresgleichen gelernt, dass man sich mit elektronischen Künstlern aus den Neunzigern eigentlich nicht mehr befassen muss. Abgesehen vom universellen Säulenheiligen Aphex Twin wird einem stänig eingeredet, dass es mittlerweile viel coolere und neuere Stile gibt und Leute wie die Chemical Brothers, the Prodigy, Plaid oder die gesamte Riege der IDM-Pioniere von Warp Schnee von gestern sind. Und weil man das immer glaubt, hat man am Ende sehr oft den Schaden, weil man feststellt, dass es eben doch anders ist. In den letzten Jahren habe ich regelmäßig Platten von Neunziger-Ikonen gefeiert und überhaupt habe ich das Gefühl, dass gerade Dinge wie die Artificial Intelligence-Compilation in letzter Zeit wieder häufig das Thema einschlägiger Blogs sind und junge Künstler sich stärker diesen Einflüssen annehmen. Eigentlich soll dieser Rant zu Anfang aber nur eine Ausrede dafür sein, dass ich schon wieder einen Longplayer eines Oldschool-Fricklers richtig toll finde, über den ich so gut wie gar nichts weiß. Zwar hat 1988 gegründete das britische Duo seit seinen Heydays vor zwanzig Jahren nie größere Pausen eingelegt und erst letztes Jahr den Vorgänger Moonbuilding 2703 A.D. veröffentlicht, doch irgendwie bin ich erst jetzt auf ein neues Release von ihnen gestoßen. Doch dieses haute mich dafür dann gleich innerhalb weniger Minuten von den Socken. Mit ihrer ungewöhnlichen Mischung aus Ambient-Chillout, Dub, organischem Sampling und Minimal ist Cow / Chill Out World ein fantastisches Album, dass trotz geringer klanglicher Neuerungen auch 2016 nicht schlechter klingt als vielleicht 1992. Mit einem unglaublich aufgemöbelten Sound und fantastischer Produktion stellen die beiden Musiker hier zehn großartige Tracks, die allesamt ins Märchenbuch der Ambient-Kunst gehören. Wie ein einziger Fluss an Klängen bildet sich das Album in den Gehörgängen des Konsumenten ab und erzeugt psychedelische Bilder im Kopf, die jedoch nie forciert, brutal oder billig wirken. Besonders die erste Hälfte der Platte wirkt in dieser Hinsicht absolut makellos und die einzige Arbeit, die sanfte Trippyness in den letzten Jahren so gut verstanden hat, ist das Comeback der Avalanches von diesem Juni. Wobei the Orb dabei sogar noch wesentlich smoother und intelligenter Vorgehen. Viele der Tracks hier sind wie eine Droge, deren Wirkung man erst Stunden später richtig merkt und die sich ganz subtil im Unterbewusstsein anschleicht. Doch im Gegensatz zum tatsächlichen Rauschmittelkonsum empfielt es sich hier, danach einfach noch mal von vorne anzufangen. Denn Cow / Chill Out World ist ohne Übertreibung eines der besten Alben, die ich in diesem Jahr gehört habe. Und weil das so ist, bin ich gleich noch mal ein wenig frustrierter, dass ich von dieser Band bisher rein gar nichts mitbekommen habe. Aber wenn ich das hier so höre, muss ich das auf jeden Fall sehr dringend nachholen. Denn ein bisschen Arbeit habe ich bei einer Diskografie von mittlerweile fast 30 Jahren definitiv vor mir.
10/11

Beste Songs: First (Consider the Lillies) / Wireless MK2 / Siren 33 (Orphee Mirror) / 4AM Exhale (Chill Out World) / 5th Dimensions / 7 Oaks / 9 Elms Over River Eno / the 10 Sultans of Rudyard (Moo Moo)

Nicht mein Fall: Sex (Panoramic Sex Heal)

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