Montag, 24. Oktober 2016

Wir Kinder vom Bahnhof Soul

TWO DOOR CINEMA CLUB
Gameshow


Parlophone / 2016















Wenn es jemals eine Zeit gibt, für die ich in irgendeiner Form bereits jetzt Nostalgie empfinde, dann sind es die musikalischen Wechseljahre zwischen den Noughties und der aktuellen Dekade. Viele Leute empfinden diese Phase als eine der schlimmsten des neuen Jahrtausends und wahrscheinlich haben sie damit auch recht. Doch wie es der Zufall will, fällt genau in diese Jahre zwischen 2007 und 2012 die Zeit meines stilistischen Reifeprozesses. Und weil ich durch sie das Phänomen Popmusik schätzen gelernt habe, kann ich Künstlern wie Ke$ha, den Black Eyed Peas oder den Wombats bis heute durchaus etwas abgewinnen. Eines der Alben, dass mich zu dieser Zeit immens prägte und das ich bis heute dafür liebe ist Tourist History von Two Door Cinema Club. Das 2010 erschienene Debüt des nordirischen Trios war mir ein treuer Begleiter auf meinem Weg vom Radiokonsumenten zum Indiekid und ist in meinen Augen noch immer eine der besten Gitarrenplatten der letzten zehn Jahre. Doch wie viele Bands, die in dieser Zeit vom Hype an die Oberfläche geschwemmt wurden, hatten Two Door Cinema Club seitdem schwer zu kämpfen. Die Jubeljahre des Mainstream-kompatiblen Indiepop waren spätestens mit dem Aufkommen von Trap und EDM vorbei und die meisten der gerade noch als das große neue Ding gefeierten Acts befanden sich eher am rechten Rand der Überholspur als darauf. Das zweite Album Beacon war 2012 ein monumentaler Flop und statt genialer Gitarren-Staccato-Riffs gab es plötzlich Keyboards, Streicher und Festival-Indie für die Laufkundschaft beim Melt!. Es war klar, dass eine Veränderung unabdingbar für Two Door Cinema Club war. Und nachdem die Band nun für vier Jahre scheinbar verschwunden war, ewig an neuem Material gearbeitet hat und viel Promo-Aufwand nötig war, um die Fanbase von einst wieder anzulocken, war es Anfang dieses Sommer geschafft: Mit Are We Ready (Wreck)? hauten die Nordiren eine Single auf den Markt, die ein absoluter Hingucker war. Der mir als Blogger sehr eigene Zynismus schwand im Angesicht dieser Nummer sehr schnell ins bodenlose und ich war unglaublich gespannt, was ihr Comeback (so kann man es mittlerweile echt nennen) bringen würde. Und tatsächlich war Are We Ready? am Ende nicht nur der Köder für einen mickrigen Fisch, sondern der Vorbote eines absolut genialen Pop-Albums. Two Door Cinema Club haben den noch sehr rockigen Sound ihrer ersten Platten hier gegen ein bis in die Haarspitzen durchgestyltes Hochglanz-Konzept getauscht, das vor allem auf eines setzt: Catchiness. Ähnlich der Evolution, die man in den letzten Jahren bei Bruno Mars oder Taylor Swift beobachten konnte, ist diese Band hier zur Hitmaschine geworden, die in diesmal nicht nur in den Indieclubs dieser Welt gespielt werden will. Dabei hilft ihnen vor allem das bisher auch von mir unterschätzte Stimmorgan von Sänger Alex Trimble, das hier zu Glanzleistungen hochfährt, die Teilweise einem Barry Gibb würdig sind. Mit wahnsinnig viel Soul schmeißt er sich hier in die steilen Melodie-Kurven und schreibt dabei sogar noch tolle Texte. Und den Vorwurf, bei diesen Darbietungen irgendwie "weiß" zu klingen, kann man ihm und dem Rest der Band beim besten Willen nicht machen. So schmissige Disco- und Funk-Nummern habe ich in den letzten Jahren von John Legend zumindest nicht gehört. Überhaupt schlagen sich Two Door Cinema Club für einen Act ihrer Generation ungewöhnlich stark. Welcher der damals so großen Künstler hat bis hierhin denn bitte auch nur ein halb so stimmiges und solides Album auf die Beine gestellt? Mir fällt irgendwie keiner ein. Und auch von ihnen hätte ich das jetzt nicht wirklich erwartet. Gameshow ist also in jeder Hinsicht eine ziemliche Überraschung für alle beteiligten. Für Leute wie mich, die bei so etwas nostalgisch werden, ist es obendrein noch ein Grund zur Freude. Aber das tolle ist ja, dass diese Platte auch ganz neue Zielgruppen anziehen kann. Wahrscheinlich werden Tracks wie Are We Ready?, Fever oder Viens De La diesmal nicht mehr im Radio gespielt. Verdient hätten sie es trotzdem. So ein Comeback kriegt schließlich nicht jeder hin.
9/11

Beste Songs: Are We Ready? (Wreck) / Bad Desicions / Ordinary / Lavender / Fever / Invincible / Je Viens De La

Nicht mein Fall: Good Morning

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