Montag, 30. August 2021

Mit Verschmachtung

Drangsal - Exit StrategyDRANGSAL
Exit Strategy
Caroline
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ eingängig | zweifeld | weich ]

In Interviews zu seiner neuesten LP redet Max Gruber gerade sehr viel darüber, wie bewusst die Hinwendung zur Seichtigkeit auf Exit Strategy passiert ist. Wie sehr es ihm hier darum ging, von der Düsternis und Kunstigkeit seiner zwei ersten Alben zumindest musikalisch Abstand zu nehmen und Songs zu schreiben, die auch mal leicht zu verdauen sein können. Sieht man sich die Entwicklung seiner Klangästhetik in den letzten fünf Jahren an, ergibt das auch durchaus Sinn. Schon immer war der Berliner nicht ausschließlich der entrückte Postpunk-Vampirfürst, als der er 2016 seinen Durchbruch hatte, sondern in meinen Augen sehr vorbildhaft darin, Geschmacksgrenzen auszuloten und dämlichen Indie-Snobismus zu zerstreuen. Was sich nicht zuletzt auch in seiner eigenen Musik wiederspiegelte, die bereits mit seinem zweiten Album Zores wesentlich zarter ausfiel und sich gerade textlich immer wieder auf unsicheres, mitunter kitschiges Territorium bewegte. Exit Strategy fühlt sich drei Jahre später wie die konsequente Vollendung dieser Evolution an, auf der Drangsal sich als durchaus softes und gefälliges, nie jedoch beliebiges Projekt wiederfinden. Dass es hier dick gezuckerte Hooks wie die von Urlaub von mir, schlagerige Streicherparts, Songtitel wie Schnuckel und relativ wenige oberflächlich grantige Momente gibt, ist in meinen Augen mit das größte Wagnis dieser LP. Und es ist ein Fakt, dass Gruber sich mit so gut wie allem, was er hier tut, weit auf dünnes Eis begibt. Musikalisch vor allem dadurch, wie großzügig er an vielen Stellen den Schmalz aufträgt, textlich dadurch, wie er diesen anschließend wieder konterkariert. Denn nimmt man mal die lyrische Seite dieser Platte für sich, ist es schnell vorbei mit Kitsch und Schalala. Exit Strategy ist Drangsals erstes komplett in deutsch geschriebenes Album, auf dem sich der Berliner sehr tiefgreifend mit eigenen Ängsten und Zweifeln auseinandersetzt. Eine Gemengelage, die an vielen Stellen dann auch sehr dreckig werden kann. Da geht es in Liedrian um toxische Beziehungsverhältnisse, in Schnuckel (vermutlich) um einen Stalker und in Urlaub von mir um die eigene Selbstentfremdung. Große Zerreißprobe ist für mich dabei erneut Grubers Sprache, die all diese Dinge auf der einen Seite sehr poetisch rahmt, auf der anderen aber auch immer an der Grenze des Cringe balanciert. Ähnlich wie bei seiner Komposition ist der Berliner auch in seinen Lyrics stetig dabei, mit Erwartungen zu brechen und seinen eigenen Schreibstil experimentell zu pushen. Für mich macht ihn das schon seit seiner letzten LP zu jemandem, der in den besten Momenten zu den besten deutschen Pop-Texter*innen gehört, der großartig mit Vokabular jongliert und Begrifflichkeiten poetisiert, die für andere meist zu sperrig sind. Nicht immer gelingt ihm das aber optimal, und gerade wenn in Schnuckel sehr billige Haus-Maus-Reime eingesetzt werden (die garantiert absichtlich so platt formuliert sind) oder an manchen Stellen eine sehr willkürliche Grammatik angewandt wird, sträuben sich mir schon mal die Nackenhaare. Dass Drangsal diese Grenzen textlich wie kompositorisch ausreizt, finde ich theoretisch klasse, doch führt es letztlich auch dazu, dass ich so gut wie keinen Song hier durchweg stilsicher finde. Es gibt hier durchaus viele gute Momente und gerade was Botschaften angeht, würde ich vieles hier gerne mehr mögen. Mädchen sind die schönsten Jungs ist im Sinne einer nonbinären Empowerment-Hymne in meinen Augen einer der wichtigsten Tracks des Jahres und viele einzelne Zeilen treffen einen Punkt in mir, den wohl wenige andere Songwriter*innen so präzise finden würden. Dennoch ist das Gesamtergebnis hier mal wieder äußerst durchwachsen und in bestimmten Punkten leider etwas zu bewusst unberechenbar, um noch die Qualität des Songs im Blick zu haben. Was Max Gruber für mich ein weiteres Mal zu einem Musiker macht, der im Sinne der Progressivität deutscher Popmusik wichtige Arbeit tut, der aber nach wie vor kein eigenes gutes Album schreiben kann. Und nichts würde ich mir inzwischen mehr von ihm wünschen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠⚫⚫⚫⚫ 06/11

Persönliche Höhepunkte
Escape Fantasy | Mädchen sind die schönsten Jungs | Rot | Urlaub von mir | Karussell

Nicht mein Fall
Liedrian | Ich bin nicht so schön wie du | Schnuckel


Hat was von
All diese Gewalt
Andere

White Lies
Ritual


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