Samstag, 28. August 2021

Stark vereinfacht

LEONIDEN
Complex Happenings Reduced to A Simple Design
Irrsinn Tonträger
2021

 
 
 
 
 
 
 
[ ambitioniert | simplifiziert | eingängig ]

Es wäre untertrieben zu sagen, dass Leoniden in den letzten Jahren eine Band gewesen wären, die ich nicht besonders mochte. Als Teil des leider doch sehr omnipräsenten letzten Wurmfortsatzes deutscher Zwotausender-Indierockbands, zu denen auch andere persönliche, ähem... Lieblinge wie Giant Rooks, Von wegen Lisbeth oder Milky Chance gehören, waren sie viel eher gesagt lange eine Band, die mich wie wenige andere kolossal ankotzte. Ihr reibungsarmer, gefällig-schlaffrockiger Ansatz an die Indiepop-Variante, die dereinst Gruppen wie die Kooks, die Wombats oder Alt-J schon komplett ausreizten, war in meinen Augen maximal langweilig und bot keinerlei künstlerischen Mehrwert. Und gerade die Tatsache, dass sie damit so viel Bohei um sich machten, ließ sie mich oft noch ein bisschen leidenschaftlicher verachten. Weshalb ein Album wie dieses hier, auf dem die Kieler scheinbar zur kompletten strukturellen Überhöhung ihrer belanglosen Ästhetik ansetzen, auf mich wie eine ziemliche Tabuzone wirkte. 21 Tracks haben sie hier geschrieben, insgesamt fast eine Stunde Spielzeit damit gefüllt und dem ganzen auch noch diesen unfassbar pretenziösen Titel gegeben, der wahrscheinlich wirken soll wie die deutsche Exportversion von the 1975. Und ja, ganz unpassend sitzt dieser Vergleich hier definitiv nicht. Auch wenn es für das Quintett aus Schleswig-Holstein noch einiges braucht, um an die monumentale Selbstgeilheit eines Matty Healy heranzukommen, sehe ich durchaus den Einfluss, den er hier hatte. Auch Leoniden schmücken sich auf vielen Songs hier mit exotischen Einflüssen und versuchen sehr oft, experimentell zu sein, allerdings nie unter Aufopferung einer elementaren Eingängigkeit. Wobei wir an dem Punkt wären, an dem Complex Happenings Reduced to A Simple Design mich dann doch ziemlich positiv überrascht hat. Denn gerade in dem Versuch, vielleicht ein bisschen weniger eine Popgruppe zu sein, werden sie hier eine ziemlich gute Popgruppe, die in Sachen Songwriting, Sound und Liebe zum Detail einen Riesenschritt nach vorne macht. Unter den fast zwei Dutzend Stücken auf diesem Album sind fast alle unglaubliche Hits, die durch eine funkigen, mitunter fast tanzbaren Vibe auffallen, großartige Hooks aufbauen können und dabei auch technisch beeindruckend sind. Zum ersten Mal höre ich hier begeistert dem Einsatz einzelner Instrumente zu, bin immer wieder erstaunt, was diese Band mit Synthesizern anstellt und wie gut Jakob Amr hier plötzlich als Sänger geworden ist. Mit den fünf verbrückenden Interludes und Gastbeiträgen von Drangsal, Pabst und Ilgen-Nur bringt die Platte außerdem ein paar echt witzige linke Haken ein, die erstaunlich gut über die Bühne gehen. Mit etwas Fantasie und Interpretationsgabe kann man hinter vielen dieser Tracks sogar eine Art übergreifende Grundidee entdecken, die ich jetzt einfach mal wild konspiriere. So habe ich ganz im Sinne des Titels den Eindruck, dass Leoniden hier tatsächlich versuchen, eine Reihe schicker und relativ simpler Popsongs über Themen zu schreiben, die für solche Strukturen eigentlich nicht gemacht sind. Da geht es in New 68 um soziale Umbrüche der vergangenen Jahre, in Dice um das Wagnis des Ausprobierens neuer Dinge, in Funeral um Zusammenhalt in Krisenzeiten und in Boring Ideas in einer nicht unspannenden Metaebene um den künstlerischen Prozess. Man muss dabei auf jeden Fall sagen, dass all diese Themen alle ziemlich verkürzt behandelt werden und rein lyrisch merkt man Amr auf jeden Fall an, dass englisch eben nicht seine Muttersprache ist, doch scheint genau das hier auch die Absicht gewesen zu sein: Eine vereinfachende, simple Form dieser Sachverhalte darzustellen, die nicht als theoretische Abhandlung, sondern als Playlist-Material funktioniert. Besser macht das die etwas schwierigen Momente dieser Platte am Ende zwar auch nicht, als Idee finde ich es aber zumindest interessant. Zumal die musikalische Ausarbeitung an vielen Stellen eben so viel besser ist als auf allen Vorgängern der Band. Leider noch immer nicht so, dass ich plötzlich völlig von den Socken wäre und die furchtbaren ersten zwei Alben der Kieler gleich vergessen würde, aber immerhin so, dass ich hier eine ganze Menge meiner generellen Verachtung gegen sie ernsthaft überdenken muss. Was bei einem Ausgangspunkt wie dem meinen schon eine ganze Menge ist. Glaubt mir.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Intro (Stuck On Repeat) | Paranoid | New 68 | Complex Happenings (Pt. 1) | Home | Where Are You | Boring Ideas | Complex Happenings (Pt. 3) | Deny | Complex Happenings (Pt. 5) | Broken Pieces | Dissapointing Life

Nicht mein Fall
-


Hat was von
the 1975
A Brief Inquiry Into Online Relationships

Portugal. the Man
Woodstock


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