Sonntag, 1. August 2021

Der Spaß an der Sache

Billie Eilish - Happier Than EverBILLIE EILISH
Happier Than Ever
Darkroom | Interscope
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ verarbeitend | ehrlich | bitter | ungemütlich ]

Dass das zweite Album von Billie Eilish ein ernsthafteres und erzählerischeres Album werden würde als ihr Debüt, war eigentlich schon zu einem Zeitpunkt klar, an dem wahrscheinlich noch kein einziger Song darauf geschrieben war. Zu dramatisch und omnipräsent war in den letzten Jahren der mediale Rummel um die Neunzehnjährige und zu sehr erlebte man Eilish selbst dabei als Person, die sowas nicht leichtfertig ignorieren wollte. Dass sie sich viel von dem Bullshit, der vor ihr schon viele junge Popstars gequält und gebrochen hatte, nicht einfach akzeptierte und selbigen auch offensiv auskonterte, machte sie in der Zeit seit When We All Fall Asleep, Where Do We Go? zu einer inspierierenden Persönlichkeit mit vielen wichtigen Botschaften, vor allem für junge Fans. Und dass diese auch in ihrer neuen Musik angesprochen werden würden, war von vornherein irgendwie klar. Wobei ich das ganze bei aller grundsätzlichen Richtigkeit auch ein bisschen schade fand. Denn primär würde ein inhaltlich ernsteres zweites Album der Kalifornierin bedeuten, dass sie die kreative Leichtigkeit und bratzige Attitüde, die an ihrem Debüt eine der schönsten Eigenschaften war, diesmal ablegen müsste. Obwohl ich in den letzten zwei Jahren zu keinem Zeitpunkt der größte Fan von When We All Fall Asleep war, war die Platte doch objektiv ein spannender Einstand für Eilish und lieferte einen Entwurf von kommerziell kompatibler Popmusik, der unkonventionell und erfrischend war. Ganz davon abgesehen, was für Maßstäbe er in Sachen Produktion und Mastering ansetzte. Und dass viele dieser Dinge auf Happier Than Ever nicht fortgeführt werden, ist schon irgendwie uncool. Zwar gibt es auch auf dieser LP durchaus Momente wie Goldwing, My Future oder I Didn't Change My Number, in denen Billie und ihr Bruder Finneas (der hier weiterhin ihr wichtigster und quasi einziger durchgehender Kreativpartner bleibt) nochmal diese Ästhetik von flirrender Stille herauskitzeln, die auf dem Debüt so visionär klang und mit interessanten Klängen oder verschrobenen Mixing-Entscheidungen experimentieren, doch nehmen die hier insgesamt eine unwesentlichere Rolle ein. Denn primär ist das hier ein Album, auf dem Billie etwas zu sagen hat. Und dafür wird klanglich an manchen Stellen doch sehr zurückgetreten. So sehr, dass nicht wenige Songs hier leider ein wenig langweilig und gleichförmig klingen. Was bei einer Tracklist von 16 Stücken schon irgendwie dafür sorgt, dass sich Happier Than Ever länger anfühlt, als es ist. Unabhängig davon, was inhaltlich passiert, ist das hier eine LP mit nur wenigen wirklichen Highlights und vor allem jeder Menge unnötigem Füllmaterial. Zu viele Titel sind einfach nur gesichtslose Slowjams, in denen Billie auch gesanglich wenig anzubieten hat und von denen noch dazu meist gleich mehrere hintereinander kommen. Wobei an dieser Stelle auch die inhaltliche Ebene selten hilfreich ist, denn auch die ist bestenfalls durchwachsen und hat viele schwächelnde Momente. Es gibt Songs wie das eröffnende Getting Older, das melancholische Male Fantasy oder das finstere Oxytocin, die lyrisch extrem stark gemacht sind und vor allem deshalb funktionieren, weil Billie in ihren Texten dorthin geht, wo es weh tut. Hier beschreibt sie Episoden aus toxischen Beziehungen, das krude Verhältnis zu ihrem Celebrity-Status und vor allem ihre damit verbundenen Ängste sehr eindrücklich, wobei sie es tatsächlich schafft, sehr erzählerisch und distanzlos, an manchem Stellen sogar ganz schön brutal zu sein. Schwieriger wird es indes in den Momenten, in denen positive Botschaften eingebracht werden sollen und es um Dinge wie Empowerment und mentale Gesundheit geht. In diesen Teilen des Albums ist Billies Songwriting dann schon eher etwas schwülstig, platt, forciert oder verfällt in eine adoleszente Edgyness, die fast schon ein bisschen peinlich wirkt. Ich möchte an dieser Stelle weiß Gott nicht die Botschaften kritisieren, die Eilish einbringt, nur ist deren Umsetzung eben nicht immer optimal. Und wenn ich ganz ehrlich bin, finde ich sie auch nur zu einem gewissen Teil effektiv. Das, was Billie Eilish im Vorfeld von Happier Than Ever so vorbildhaft machte, war ja ihre Eigenschaft, einfach ihr Ding durchzuziehen, unbeeindruckt von Trends und konventionellen Erwartungen zu sein und daraus eben keinen gesellschaftskritischen Kommentar zu machen. Hier tut sie das nun mit großem Tamtam und plötzlich wirkt das alles ein bisschen aufgesetzt und inszeniert. Ich bin mir sicher, dass das definitiv nicht die Absicht der Künstlerin war und diese LP von ihrer Seite primär deshalb existiert, um die hier angesprochenen Dinge zu verarbeiten, doch scheint das ganz einfach nicht das Setting zu sein, in dem sie die beste Musik macht. In meinen Augen ist Billie Eilish eine sehr mutige und kreative Künstlerin, die hier aber wenig dazu kommt, mutig und kreativ zu sein, weil um sie herum gerade so viel Mist passiert. Was ich mir also wünschen würde wäre, dass sie in Zunkunft an einen Punkt kommt, an dem sie nicht mehr so viel emotional zu wälzen hat. In erster Linie natürlich für ihr eigenes Wohlbefinden, zum anderen, damit ihre Songs wieder abenteuerlicher werden. Denn das hier ist an zu vielen Stellen ein bisschen zu traurig, um gut zu sein. Inhaltlich wie klanglich.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
Getting Older | My Future | Oxytocin | Goldwing | Male Fantasy

Nicht mein Fall
Billie Bossa Nova | Lost Cause | Halley's Comet | Not My Responsibility | Everybody Dies | Your Power | Happier Than Ever


Hat was von
Lorde
Pure Heroine

Olivia Rodrigo
Sour


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