Sonntag, 22. August 2021

Du musst gar nichts

Deafheaven - Infinite GraniteDEAFHEAVEN
Infinite Granite
Sargent House
2021

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ gediegen | verträumt | leicht ]

Lange während ihrer inzwischen über zehnjährigen Karriere haben sich Deafheaven von den selbsternannten Verteidiger*innen der Black Metal-Szene den Vorwurf anhören müssen, dass sie ja eigentlich gar keine richtige Metalband seien. Dass ihre Songs viel soft wären, sie ihren Sound über zu weite Strecken verwässerten und überhaupt und allgemein viel zu viele Fremdeinflüsse zuließen, um ihr Produkt noch zweifelsfrei das selbstempfundene Genre-Gütesiegel zu verpassen. Und obwohl derlei in den Äther gesprochene Reinheitsgebote natürlich kompletter Blödsinn sind und Deafheaven in meinen Augen sogar eine der besten Metalbands der vergangenen Dekade waren, zeigt ihr neues Album auf eine verquere Weise schon irgendwie, dass die Purist*innen recht hatten. Denn wenn diese Band will, muss sie eben auch keine Metalband sein und kann beliebig viele andere Sachen spielen. Wobei Infinite Granite erstmals in ihrer Karriere die Entscheidung ist, genau das zu tun. Abgesehen von zwei oder drei Songs, in denen George Clarke im großen Finale nochmal den dämonischen Keifgesang auspackt und die Gitarren mächtig schreddern, ist das hier eine LP, die sich vollends den Stilen widmet, die auf früheren Alben der Kalifornier immer noch etwas die zweite Geige spielten: Shoegaze, Postrock, Emorock und vielleicht ein bisschen Indie- und Dreampop zum Abschmecken. Wobei Infinite Granite an manchen Stellen durchaus einen klaren Schnitt setzt, in vielen Punkten aber auch Ideen der letzten Platten einfach fortführt. Schon Ordinary Corrupt Human Love, ihre letzte LP von 2018, brachte Dinge wie cleane Gesangspassagen, flachere Dynamiken und stärkere Emo-Einflüsse in den Sound der Band ein und dass Anteile von Metal-Einflüssen zu Nicht-Metal-Einflüssen relativ gleich verteilt sind, ist eine Eigenschaft von Deafheaven seit ihrem ersten Demotape. Nur machten die lauten und brachialen Passagen auf mich immer viel mehr Eindruck, weshalb es jetzt ziemlich cool ist, die andere Seite mal so exponiert zu hören. Und sicher, auch ich hatte anfangs ein bisschen die Sorge, dass Infinite Granite dadurch ein entscheidendes Element fehlen würde. Schließlich lebte die Ästhetik der Kalifornier bis dato von ihren starken Dynamiken, die es hier in dieser Form nicht gibt. Doch gelingt es der Band einerseits, diese auch im kleineren Rahmen zu erzeugen und erleben Deafheaven hier andererseits einen Höhepunkt als gelassene und gerne auch mal poppige Band. Wobei auch das kein Wunder sein sollte, denn Emo und Shoegaze konnten sie vorher schon genauso super. In die ersten beiden Songs muss man sich zugegebenermaßen noch eine ganze Weile eingrooven, spätestens ab Great Mass of Color lösen sich hier aber viele Knoten und das Album wird kontinuierlich stärker. Vieles hier erinnert mich dabei sehr positiv an die klassische Diskografie von Ride oder Slowdive, an einigen Stellen auch mal an Mogwai oder die Cocteau Twins und George Clarke als Sänger hat sowohl lyrisch als auch gesanglich etwas eigenartig Morissey-haftes, das sich wunderbar mit den Gitarrenpassagen von Kerry McCoy ergänzt. Ein weiteres Mal muss ich an dieser Stelle auch meine Begeisterung für Drummer Dan Tracy aussprechen, der hier mehr denn je zum Rückgrat der Gruppe wird und in vielen Momenten dafür sorgt, dass die Spannung nicht abfällt. Und schlussendlich gibt es eben auch Sachen wie das synthpoppige Neptune Raining Diamonds, die auf dem Papier völlig absonderlich scheinen, wider Erwarten aber fantastisch in das klangliche Konzept der Platte passen. Dass Deafheaven dabei ein weiteres sehr solides Album machen, hat aber nichts damit zu tun, dass sie mich trotz des Fehlens von Drum-Kaskaden und monumentalen Screamo-Berserkergängen hier irgendwie bei Laune halten, es ist die Natürlichkeit dieses Moves, der mich überzeugt. In aller Theorie mag Infinite Granite ein Stilbruch sein, in meinen Augen fühlt er sich aber nicht wie einer an. Deafheaven machen hier einfach souverän weiter das, was sie seit über zehn Jahren erarbeiten, und motten einen Teil ihres Sounds auch mal ein, um damit weiterzukommen. Ob vorrübergehend oder dauerhaft, wird dabei erst die Zukunft zeigen, doch habe ich an diesem Punkt nicht das Bedürfnis, dass diese Band sich langfristig entscheidet, ob sie nun eine Metalband sein will oder nicht. Diese lästige Stilfrage haben sie schließlich nicht umsonst vor Jahren abgeschüttelt. Jetzt zeigt sich, wie sie damit freigeistig und geschmackvoll umgehen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Big Mass of Color | Neptune Raining Diamonds | Villain | the Gnashing | Other Language | Mombasa

Nicht mein Fall
Shellstar


Hat was von
Slowdive
Slowdive

Kraus
Path


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen