Freitag, 6. August 2021

Bossaura

BLEACHERS
Take the Sadness Out of Saturday Night
RCA
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ springsteenesk | hymnisch | rockig | retro ]

Ich vermeide es in diesem Format normalerweise, mit solcherlei nerdig-snobistischen Statements zu flexen, aber in diesem Fall muss ich das ganz einfach mal tun: Wer 2021 als Musikfan noch nie den Namen Jack Antonoff gehört hat, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Ganz einfach, weil dieser Typ mittlerweile einer der prägenden Figuren der Ästhetik von Popmusik an sich geworden ist. Kaum jemand Anderes hat in den letzten fünf bis sieben Jahren einen vergleichbaren Senkrechtstart als gewiefter Triple-A-Produzent hingelegt und dabei vor allem als stilbewusster Vertrauensmann der ganz großen Megastars gepunktet. Bereits seit 2014 ist er Haus- und Hofproducer von Taylor Swift, der seit 1989 an all ihren Alben wesentlich beteiligt war und auch das sonstige Portfolio des New Yorkers liest sich wie ein monumentales Pop-Märchen: Melodrama von Lorde, Dedicated von Carly Rae Jepsen, Magdalene von FKA Twigs sowie jeweils die letzten beiden Platten von St. Vincent, Lana del Rey und Sia. Dass Antonoff das zeitgenössische Musikbusiness durchgespielt hat, ist demzufolge nur deshalb nicht ganz richtig, weil der New Yorker in diesem Momen gerade erst so richtig seinen künstlerischen Zenit erreicht hat. Wobei sein Dasein als Produzent natürlich nicht sein einziges Standbein ist. So war er Anfang der Zehnerjahre Mitglied des One Hit Wonders Fun., die mit dem Titel We Are Young 2012 einen Sommer lang die große Newcomer-Hoffnung waren und betreibt seit etwa 2013 auch halbwegs erfolgreich das Solo-Schrägstrich-Seitenprojekt Bleachers. Von den drei Alben, die er mit letzterem bisher veröffentlichte, nahm ich ehrlich gesagt sehr viel weniger Notiz als von seinen Jobs als Producer, auch wenn seine 2014 erschienene Debütsingle I Wanna Get Better noch immer ein absoluter Jam ist. 2021 jedoch ist er als musikalische Figur einfach so groß geworden, dass auch diese Nische seines Schaffens objektiv interessant geworden ist. Zumal er den Bleachers-Kosmos mit Take the Sadness Out of Saturday Night erstmals in eine etwas andere Richtung lenkt als bisher gewohnt. Wo sein Output auf den Vorgängern sich immer ziemlich eindeutig in die etwas Pop-orientiertere Ausführung von modernem Indiepop einordnen ließ, ist LP Nummer Vier ein sehr bewusster Abzweig in die Bereiche des hemdsärmligen Heartland Rock und die klanglichen Hohetsbereiche von Bruce Springsteen, Rod Stewart und Bryan Adams. Wobei sich die zehn Songs an vielen Stellen quasi schon eher wie eine ästhetische Studie der klassischen E-Street Band-Diskografie (etwa Born to Run bis Nebraska) anfühlen als wie ein aus eigener Kreativität entstandenes Album. Von den knätschigen Saxofonen über die schillernden Synths und die groovenden Gitarrenparts bishin zu Antonoffs Stimme ist hier so gut wie alles so exakt wie möglich dem Sound nachempfunden, den der Boss Ende der Siebziger für sich prägte und ein bisschen muss man dieser Platte deshalb schon kopistische Tendenzen vorwerfen. Allerdings ist das bei einem Künstler wie diesem hier, der wirklich klangliche Feinheiten zu treffen versucht, etwas anderes als bei banausigen Trittbrettfahrern wie Greta van Fleet, die einfach nur einen diffusen Vibe zu reproduzieren versuchen. Hier probiert nicht jemand, die klangliche Identität eines bekannten Altstars als die eigene zu verkaufen, sondern diese aus einer songwriterischen Perspektive nachzuvollziehen und nachzubauen. Ähnlich wie ein Baumeister, der ein Haus mit mittelalterlichen Gerätschaften baut, nur um herauszufinden, wie man das damals alles gemacht hat. Das zumindest ist die Idee, die ich von diesem Album vermittelt bekomme und im Sinne eines rein technischen Verständnisses finde ich das auch irgendwie cool. Dass Take the Sadness Out of Saturday Night deswegen das bestmögliche Album des Künstlers Jack Antonoff ist, heißt das aber nicht unbedingt. Zwar habe ich hier durchaus das Gefühl, dass nicht nur einen Forschungszweck verfolgt wird und gerade in den Texten auch echter emotionaler Inhalt aufgebracht wird, doch ist das hier eben doch zu sehr eine Hommage, um sich als eigenständiges Werk mit seinen bisherigen Sachen vergleichen zu können. Wobei es witzig ist, dass Take the Sadness gerade in Sachen Produktion die größten Defizite aufweist. Bei nicht wenigen Songs auf dieser Platte hätte ich durchaus den Wunsch gehabt, dass sie mit etwas mehr Pep abgemischt worden wären und abgesehen vom ziemlich genialen Stop Making This Hurt erlebt man hier nur wenig vom sonst so präsenten Hit-Instinkt des New Yorkers. Da hilft es auch nichts, dass dem Songwriter in Chinatown einmal der echte Boss unter die Arme greift. Da ich das vorliegende Material aber eher als methodische Annäherung an einen bestimmten Sound sehe denn als vollwertiges Album-Album, ist das alles ziemlich gut zu verschmerzen. Take the Sadness wird sich sicherlich zu keiner Lieblingsplatte von mir entwickeln und ich hoffe, dass diese Art von nerdigen How-to-Projekten bei Antonoff nicht die Regel werden. Doch kann ich das als Exkurs irgendwie ganz gut akzeptieren. Und sei es auch nur deshalb, weil ich die hier reproduzierte Phase von lässigem Heartland Rock einfach sehr gerne mag. Gut geklaut ist es auf alle Fälle und wenn es dabei hilft, in Zukunft noch weiter seine Skills als Musiker und Produzent zu verfeinern, dann dient es ja irgendwie schon seinem Zweck. Ist ja schließlich nicht so, dass dieser Typ grundsätzlich ein Problem damit hätte, zeitgenössische Musik zu machen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡08/11

Persönliche Höhepunkte
Chinatown | How Dare You Want More | Big Life | Stop Making This Hurt

Nicht mein Fall
Secret Life


Hat was von
Bruce Springsteen
Born to Run

the War On Drugs
A Deeper Understanding


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen