Sonntag, 21. März 2021

Trouble in Paradise

Lana Del Rey - Chemtrails Over the Country ClubLANA DEL REY
Chemtrails Over the Country Club
Polydor
2021
 







 
 
[ weltfremd | kitschig | mondän ]

Wenn wir an dieser Stelle über die öffentliche Persönlichkeit und Künstlerin Lana del Rey im Jahr 2021 reden wollen, dann müssen wir meiner Meinung nach erst einmal ein wenig neu definieren, welche Persönlichkeit damit genau gemeint sein soll. Denn seit einiger Zeit scheinen zum ersten Mal in der Karriere der Kalifornieren zwei davon zu existieren. Wobei beide auch immer wieder auf seltsame Weisen konvergieren. Bis vor etwa einem Jahr gab es in der öffentlichen Betrachtung vor allem Lana del Rey als Kunstfigur, von der abgesehen von ihrer Musik selbst wenig nach außen Drang. Sie war ein surreales Fantasiegebilde, die in ihrer Kunst eine kitschige, pompöse Parallelwelt aufbaute, die ganz absichtlich Abstand von tagespolitischen Statements nahm und auch wenig über sich selbst herausgab. Und weil diese ganze alternative Realität und Kunstfigurigkeit so offensichtlich war, dachte auch niemand so wirklich daran, sie für ihre privilegierte Haltung und ihre Abnabelung von der echten Welt zu kritisieren. Wenn überhaupt war es künstlerisch sehr wertvoll, zwischen all den sozialkritischen Statements von Internet-Celebrities und durch Shitstorms erzwungenen Positionierungen diese eine Person zu haben, die ganz absichtlich völlig out of touch war und mit ihrer verklärten Hollywood-Romantik eher Meta-mäßig Botschaften vertrieb, die man erstmal checken musste. Nur bekam diese Fassade vor kurzem einige gehörige Risse, als Lana del Rey eben doch meinte, sich zu etwas äußern zu müssen. Durch einige Posts auf Instagram und anderswo, mit denen die Künstlerin vor kurzem durch latenten Rassismus und Antifeminismus auffiel, erhaschte man plötzlich doch einen Blick auf die Frau hinter dem perfekt inzenierten Charakter, auf den man vielleicht lieber verzichtet hätte. Mit einem Mal war diese Person, die aus ihrem Elfenbeinturm an die frische Luft getreten war, also in dem Rampenlicht, dass sie so lange gemieden hatte: Dass der virtuellen Debattenkultur. Und das auch noch kurz vor Release ihres neuen Albums. Chemtrails Over the Country Club, ihr insgesamt sechstes Studioprojekt unter dem Lana del Rey-Moniker, findet diskussionstechnisch gerade unter völlig anderen Parametern statt als ihre vorigen Platten, was ziemlich weird ist. Auf einmal wird in ihren Texten nach verschlüsselten politischen Botschaften gesucht, der reißerische Plattentitel wird online seziert und den Fans von früher scheint langsam aufzufallen, dass Lana del Rey eine reiche, weiße Frau ist, die in ihren Songs konservative Ideale romantisiert. Meine persönliche Perspektive ist dabei am ehesten eine von Verwirrung über die Reaktion. Klar ist es schade, dass hier erneut ein Promi nicht so woke ist, wie man das vielleicht imaginiert hatte, doch ist ihre Musik schon immer ein Thema gewesen, das damit sehr wenig zu tun hat. Die findet nämlich auch auf dieser neuen LP wieder in der gleichen fluffigen Parallelwelt statt wie schon die fünf davor und wer hier plötzlich auf Statements hofft, wird mehr als Grashalme nicht finden. Wobei ich eins trotzdem zugeben muss: Auch das Universum von Lana del Rey hat sich nach 2020 verändert und bekommt langsam aber sicher die Verwerfungen der echten Gesellschaft zu spüren. Eine Sache, die schon der Titel in meinen Augen wahnsinnig gut einfängt. Hier erleben wir die gleiche heile Welt, die diese Musikerin schon immer skizziert hat, doch gibt es darin plötzlich diffuse Bedrohungen, die alles in leichte Schieflage bringen. Eine Stimmung, die zumindest auf Teilen des Albums auch musikalisch spürbar wird. Gleich der Opener White Dress, der für mich hier einer der besten Songs ist, handelt vom Gefühl verlorener Unschuld, bei dem del Rey auch einmal kurz wirklich persönlich wird. Ich mag dabei besonders die vielen lyrischen Bezüge auf die Farbe weiß, die das ziemlich gut illustrieren (und für mich nichts mit irgendwelchen versteckten White Power-Statements zu tun haben). Der Titelsong übt sich danach klanglich in der Art von softem Hedonismus, den man von den frühen del Rey-Hits klingt, hat aber unterschwellig etwas von Endzeitstimmung, was das leicht bedrohliche Gefühl noch verstärkt. Nach diesem starken ersten Doppel hatte ich tatsächlich große Hoffnung, dass dieses Album auf dem besten Weg ist, das künstlerische Aha-Projekt zu werden, das ich mir von dieser Frau schon lange gewünscht hatte. Das den schon immer einwandfreien Style-Faktor ihrer Musik endlich mit einem Inhalt kombiniert, der ebenso stark ist und qualitativ vor allem über eine Gesamtlänge trägt. Und obwohl die Platte danach immer noch die meiste Zeit okay ist und es tolle Songs wie Yosemite und Wild at Heart gibt, muss ich leider auch diesmal sagen, dass sie es mal wieder nicht geworden ist. Zum großen Teil deshalb, weil sich danach Stück für Stück das lyrische Thema verliert und die Platte in den üblichen lamentierenden Softpop-Trott verfällt. Tulsa Jesus Freak ist furchtbar langweilig und Let Me Love You Like A Woman hat nach den letzten Instagram-Statements eben doch zu viel realistisch-konservatives, um es wirklich als reines Fiktionswerk wahrzunehmen. Erst gegen Ende nimmt Chemtrails Over the Country Club wieder richtig fahrt auf, vor allem mit den letzten beiden Tracks Dance Till We Die und dem Joni Mitchell-Cover For Free. Besonders cool finde ich dabei, wie del Rey im ersteren davon noch darüber singt, dass sie einen Song von Joni Mitchell spielt und das im Closer dann tatsächlich tut (inklusive einer Gastperformance von Weyes Blood, die dem Original gruselig ähnlich ist.). Die unterschwellige Paranoia hat die Platte an diesem Punkt zwar gänzlich verloren, doch findet sie auf diese Weise immerhin einen ziemlich stimmigen Abschluss. Und obwohl die gesamte LP am Ende nur wieder okay ist, bekommt Lanas Songwriting hier zumindest wieder einigen Aufwind. Nach den in meinen Augen völlig versiebten letzten beiden Alben Lust for Life und Norman Fucking Rockwell ist Chemtrails Over the Country Club wenigstens wieder halbwegs interessant und klanglich einigermaßen spannend. Und dass sie hier dieses leicht apokalyptische beziehungsweise konfliktbehaftete Narrativ findet, macht mir ernsthaft Hoffnung, dass sie darauf noch aufbaut. Wobei ich in diesem Fall wieder an dem Punkt wäre, an dem ich jeweils nach Born to Die und nach Honeymoon schon mal war und an dem ich dafür bete, dass die nächste Platte die guten Ideen von dieser nimmt und nochmal fokussierter angeht. Dann hätten wir auch endlich die Platte, auf der Lana del Rey wirklich mal ihr gesamtes Potenzial ausschöpft. Zumindest wenn sie sich bis dahin nicht schon um Kopf und Kragen getwittert hat.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
White Dress | Wild at Heart | Yosemite | Dance Till We Die | For Free

Nicht mein Fall
Tulsa Jesus Freak

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