Mittwoch, 10. März 2021

For the First Time

Genesis Owusu - Smiling With No Teeth
GENESIS OWUSU
Smiling With No Teeth
House Anxiety | Ourness
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ vielschichtig | extravagant | kreativ ]

Schon seit Mitte der letzten Dekade ist auf vielen Musikplattformen ständig die Rede von den sogenannten 'Monogenre'-Künstler*innen und was sie über den kreativen Zeitgeist der Gegenwart aussagen. Meistens geht es dabei um junge Acts wie Lorde, Jean Dawson, Yves Tumor, Jacob Collier oder Frank Ocean, die als Kinder einer digitalen Popkultur stilistisch quasi nicht mehr einzuordnen sind und in ihren eigenen Songs Genregrenzen nicht nur überwinden, sondern faktisch deren Existenz ausradieren. Und als Teil dieser Generation von Musikfans kann ich auf jeden Fall bestätigen, dass es sowas gibt. Allerdings muss ich auch ganz klar sagen, dass mich die journalistische Abarbeitung daran mittlerweile ziemlich nervt. Vor allem deshalb, weil diese Art von Etikett gerne sehr großzügig vergeben, die in meinen Augen weder besonders vielschichtig noch besonders originell klingen. Der junge Australier Genesis Owusu und sein Debüt Smiling With No Teeth sind hingegen mal ein ziemlich gutes Beispiel, was ich unter Monogenre verstehe. Zwar gibt es von diesem Typen bis dato nicht besonders viel Material und erst seit 2017 es eine einigermaßen dokumentierte Diskografie, doch hat er sich damit zumindest schon bei den richtigen Leuten einen Namen gemacht. Vor allem in der exzentrischen Freakpop-Szene seiner Wahlheimat und musikalischen Influencern wie Kirin J Callinan hat Owusu seit einer Weile Freund*innen gefunden und auf diesem Erstling merkt man das definitiv. Denn obwohl vieles hier im Kern irgendwo aus dem Crossover-Bereich zwischen Rap und Soul kommt, den in der letzten Dekade Tyler, the Creator und Joji erfolgreich freigeschaufelt haben, nimmt die Platte vieles am Wegesrand genauso mit. Hier gibt es erkennbare Elemente aus Postpunk, New Wave, bratzigen Elektropop, Funk und sogar Noise und in den meisten Fällen passiert alles gleichzeitig. Für einen direkten klanglichen Vergleich würde ich dabei am ehesten eine Band wie Young Fathers heranziehen, auch wenn Owusu etwas krachiger und kaputter klingt. Und die Seitenhiebe, die die Songs dann individuell machen, gehen sowieso noch in ganz andere Richtungen. Der Opener On the Move hat definitiv bei Death Grips geschnuppert, Gold Chains klingt fast ein bisschen zu sehr wie Softdrink von Bilderbuch, Waitin' On Ya ist eine klassische Neo-Soul-Chillnummer im Post-Erykah-Badu-Stil und Drown wird sehr wesentlich von Sparringpartner Kirin J Callinan bestimmt. Dass Owusus Stücke sehr vielseitig sind, ist aber nicht der einzige Selling Point von Smiling With No Teeth und vor allem lyrisch bekomme ich hier viele gute Eindrücke mit. Durch die kompletten 15 Tracks scheint sich ein relativ tightes inhaltliches Motiv zu ziehen, dass sich auf verschiedene Aspekte von mentaler Gesundheit fokussiert und dabei immer wieder auf die gleichen Themen zurückkommt. Als eine Art poetisches Symbol taucht dabei der "black dog" auf, den ich textlich zwar nicht ganz einordnen kann, der aber auf jeden Fall zeigt, wie viel Sorgfalt hier in den Lyrics liegt. Und auch in einzelnen Songs wie dem antirassistisch motivierten I Don't See Colour oder dem psychotischen I Don't Need You merkt man, dass hier nicht nur wichtige Sachen erzählt werden sollen, sondern diese auch lyrisch pointiert formuliert werden. Nimmt man dann noch dazu, dass die allermeisten Tracks hier unverschämt catchy sind, hat man schnell alle Zutaten für eines der besten Debüts des jungen Jahres gefunden. Es ist schön, mit Genesis Owusu einen Act zu sehen, der schon auf seiner ersten Platte so unfassbar fokussiert und formvollendet auftritt und keine Sekunde länger seine Stimme suchen muss. Was er hier anstellt, ist an den miesesten Stellen richtig gut und an den besten Stellen der absolute Wahnsinn. Wenn ich etwas auszusetzen habe, dann dass die letzten drei Songs leider etwas an Spannung verlieren und dass die 53 Minuten hier doch ganz schön stattlich werden, was aber insgesamt gesehe nicht der Rede wert ist. Mit diesem Typen hat die Welt gerade ein großes Talent gewonnen, keine Diskussion. Und falls sich jemand das gefragt haben sollte: Natürlich ist er auch noch unverschämt jung. Von ihm können wir uns also noch auf jede Menge großartige Musik freuen, die in der Zukunft hoffentlich noch kommt. Das erste Highlight ist hier aber auf jeden Fall schon mal gefunden.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
On the Move | the Other Black Dog | Waitin' On Ya | Don't Need You | Drown | Gold Chains | I Don't See Colour | Black Dongs! | Whip Cracker | Easy

Nicht mein Fall
A Song About Fishing | No Looking Back
 

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