Montag, 22. März 2021

Sorry Bro

Justin Bieber - Justice
JUSTIN BIEBER
Justice
Def Jam
2021
 









 
 
 
[ introvertiert | seicht | spirituell ]

Ich hatte dieses Jahr bei der Verleihung der Grammys äußerst wenige ehrliche Hoffnungen und schon als die Nominierungen im letzten Herbst erschienen, wusste ich, dass darunter niemand war, für den ich ernsthaft meine Finger kreuzte. Um eine Sache war ich nach den Awards dann aber trotzdem froh: Dass Justin Bieber mit leeren Händen ausging. Als in meinen Augen schlimmstes Symptom der diesjährigen Preiskandidat*innen war der Kanadier 2021 gleich in mehreren Kategorien nominiert, noch dazu für sein absolut katastrophales Album Changes (beziehungsweise die Singles darauf) und es wäre ein echtes Armutszeugnis seitens der Akademie gewesen, dieses Stück Musik für irgendetwas auszuzeichnen. Vor allem deshalb, weil sich dafür abgesehen von ihnen anscheinend niemand interessierte. Es war die erste LP von Bieber, die kommerziell nicht komplett überzeugte, die Kritiken waren durchweg mies und man könnte fast schon sagen, dass hier zum ersten Mal seit über zehn Jahren der Punkt erreicht war, an dem dieser Typ der Weltöffentlichkeit ein bisschen egal war. Eine Sache, die für das Imperium, das hinter seinem Namen steht, natürlich gar nicht ging. Und hauptsächlich das wird auch der Grund sein, warum fast auf den Monat genau ein Jahr später die nächste LP von Bieber in den Regalen steht, auf dem dieser sich die Leute wieder zurückholen will. Weil er dabei schon immer irgendwie der toxische Arschfreund des Musikbusiness war, kommt er hier auch ahnbar mit dem Move, den alle von ihnen irgendwann bringen: Die Entschuldigung mit Hundeblick, verbunden mit der Beteuerung, sich jetzt definitiv zu ändern. Im Fall von Justice soll der Junge sogar Gott gefunden und hier so eine Art spirituelle Confessions-Art von Platte aufgenommen haben. Eine inhaltliche Ausrichtung, die ich diesem Album keine Sekunde lang abkaufe. Wie schon auf Changes beschäftigen sich die Songs darauf vor allem mit Biebers eigenen Komplexen, gepaart mit ein bisschen demostrativer Selbstgeißelung und ein paar religiösen Verweisen. Nicht wirklich das Material, aus dem ernsthaftes erzählerisches Wachstum gemacht ist. Musikalisch allerdings muss ich sagen, dass Justice zumindest ein bisschen aus den Verfehlungen der Vergangenheit gelernt hat. Statt wie beim Vorgänger auf minimalistische R'n'B-Verschnitte zu setzen, geht Biebers Produktionsteam hier wieder ein bisschen mehr auf Eingängigkeit und Hit-Faktor zu. Stilistisch wird sich dabei sehr offensichtlich an den Synthpop-Sporen des letzten the Weeknd-Albums bedient, aber auch an die sonnigen Styles angeschlossen, die schon die besten Momente auf Purpose vor fünf Jahren ausmachten. Und an nicht wenigen Stellen funktioniert das tatsächlich gut. Die ersten drei Tracks 2 Much, Deserve You und As I Am gehören zu den besten Tracks, die ich von Bieber je gehört habe, ebenso wie die letzten drei. Off My Face macht darüber hinaus mit seiner Akustikballaden-Ästhetik jede Menge her und hat diesen coolen Autotune-Part, der sogar als experimenteller Move durchgeht. Und auch wenn mir ansonsten nicht viele krasse Highlights auffallen, ist Justice doch kompositorisch in jedem Moment spannender als alles auf Changes. Sicher, die teilweise peinlichen Lyrics ziehen viele klanglich coole Stücke ein bisschen runter und der an den Haaren herbeigezogene Bezug auf Martin Luther King nervt kolossal, doch ist das hier wenigstens kein Album, das mich einfach nur langweilt. Vibe-technisch bringt Bieber die Nummer ziemlich gut durch die immerhin 16 Tracks und obwohl nicht alle Features hier super sind (*hust* Chance the Rapper *hust*), tragen sie doch zur Diversität der Platte bei. Was effektiv bedeutet, dass der Kanadier hier direkt nach einem seiner schlimmsten Projekte eines seiner besten gemacht hat. Justice ist keinesfalls ein Album, das bei Justin Bieber plötzlich einen Mehrwert erzeugt, den er vorher nicht gehabt hätte und noch immer gibt es das ziemlich okaye Purpose, doch muss ich auch irgendwie anerkennen, wie er sich hier musikalisch wieder etwas aus dem Sumpf zieht. Nach der Katastrophe von Changes hatte ich wirklich nicht auf viel gehofft, aber das hier ist allen ernstes gar nicht mal so schlecht. Und es macht mir zumindest Hoffnung, dass wir in Zukunft noch gute Musik von diesem Typen bekommen. Ob ich ihn irgendwann inhaltlich erträglich finden kann, ist nochmal eine ganz andere Frage.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
2Much | Deserve You | As I Am | Off My Face | Ghost | Loved By You | Anyone

Nicht mein Fall
Unstable | MLK Interlude | Die for You

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