Donnerstag, 4. März 2021

Meisterbetrieb der Melancholie

Nick Cave & Warren Ellis - CarnageNICK CAVE & WARREN ELLIS
Carnage
Goliath Enterprises Ltd.
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ poetisch | sinfonisch | schwermütig ] 

Ich werde in dieser Besprechung noch mehr als genug darüber schreiben, warum Nick Cave so ein genialer Musiker ist, und da seine Name auf dieser LP ohnehin derjenige ist, den man am ehesten kennen könnte, will ich wenigstens zu Anfang mal ein paar ausführlichere Worte über seinen Sparringpartner Warren Ellis verlieren und warum auch er ein genialer Musiker ist. Wobei so oder so die erste wichtige Feststellung ist, dass die Paarung dieser beiden Typen auf diesem Album alles andere als ein neues ist. Den nicht nur ist Ellis seit Ewigkeiten Mitglied von Caves berüchtigter Backingband, den Bad Seeds, er ist innerhalb dieses Zirkels auch sowas wie der engste Vertraute des großen Meisters. Auf Augenhöhe haben die beiden in den letzten zwanzig Jahren ein gutes Dutzend Filmmusiken zusammen komponiert, außerdem war er für Cave schon ab und zu als Produzent tätig. Dass Ellis darüber hinaus bei den großartigen Dirty Three mitspielt und im Hintergrund an den letzten Platten der Avalanches, Idles und Tinariwen mitarbeitete, macht ihn abgesehen davon mindestens genauso spannend. Und das aus der Partnerschaft zwischen ihm und seinem Chef nun auch das erste offizielle Album entstanden ist, das nicht nur eine Auftragsarbeit ist, konnte daher nur eine gute Nachricht sein. Wobei das Ergebnis in Form auf Carnage auch genausogut eine neue Bad Seeds-LP hätte sein können, weil sie eigentlich genauso klingt. Vom Pfad der seichten, flirrenden Artpop-Flächen mit rezitierter Poesie von Cave, den die Australier nun schon seit etwa zehn Jahren beschreiten, weichen die acht vorliegenden Tracks nur sehr unwesentlich ab und bieten wenn überhaupt nur eine neue Facette desselben Konzepts. Das finde ich an sich nicht schlecht, da Alben wie Push the Sky Away, Skeleton Tree und vor allem die aktuellste LP Ghosteen von 2019 fast alle zu meinen Lieblingsplatten der Bad Seeds zählen. Und Carnage ist in dieser Reihe ein weiteres gutes Stück Musik, wenn auch nicht unbedingt das allerbeste. Denn vor allem im Nachgang der großen und dramatischen Konzeptwerke, die Cave in den vergangenen fünf Jahren buckelte, wirkt das hier inzwischen ein bisschen wie ein Gewohnheitsding. Was nicht heißt, dass nicht trotzdem an bestimmten Punkten großartige Songs geschrieben werden. Die instrumentale Ausgestaltung zwischen ambienten Synths und zarten Streichern ist sehr oft sehr filigran inszeniert und man merkt den beiden Musikern hier auf jeden Fall ihre geteilte Soundtrack-Erfahrung an. Ellis' detaillierte Produktion schafft es, die schönsten Attribute des Songwritings ganz besonders zu betonen und ist in meinen Augen sogar nochmal eine ganze Ecke besser als auf Ghosteen. Und die Sahnehaube obendrauf ist dann natürlich wie immer die versierte Performance des düsteren Dandy-Charmeurs Nick Cave. Der versteht es mittlerweile nicht nur vorzüglich, in jede Silbe seines finster-melancholischen Lamentos mit mannigfaltigen Emotionen zu füllen, vor allem seine Texte machen mich hier mal wieder fertig. Seitdem er vor ein paar Jahren seine prosaische Spoken Word-Seite entdeckt hat, spricht er in noch farbenfroheren Analogien und mystischen Metaphern als früher, die selbst dann grandios sind, wenn man kein bisschen davon inhaltlich durchsteigt. Und vor allem Stücke wie Lavender Fields oder Hand of God haben dadurch immer mehr etwas von einem guten Roman oder einem poetischen Historienfilm. Mit White Elephant wird Cave an anderer Stelle sogar mal kurz politisch und setzt ein überraschend deutliches musikalisches Statement gegen Rassismus und privilegiertes Gehabe, was ich inhaltlich extrem stark finde. Leider ist der Track musikalisch auch der mit Abstand schwächste auf dem ganzen Album, begeistert bin ich trotzdem. Wobei es solche Einerseits-Andererseits-Stücke auf Carnage doch jede Menge gibt. So sind Old Time oder Shattered Ground zwar keinesfalls mies, aber auf lange Sicht schon ein wenig monoton und dröge. White Elephant mit seinem impulsiven Finale hingegen ist innerhalb der sehr meditativen Ästhetik des Albums fast ein wenig zu forsch und aufgeregt für meinen Geschmack. Weshalb ich von dieser LP insgesamt den Eindruck habe, dass sie ein bisschen ein Testgelände für Ellis und Cave ist, auf dem ein paar ausgefallenere Ideen ausprobiert werden. Nicht immer merkt man das sofort und viele der besagten Ideen sind so gut, dass es schade ist, sie nicht auf einem "richtigen" Projekt der Bad Seeds zu hören, insgesamt ist Carnage damit aber das entscheidende Bisschen schwächer als die letzten Bandplatten. Dass ich so empfinde, kann allerdings auch durchaus damit zu tun haben, dass Cave uns in den vergangenen Jahren mit exzellentem Material sehr verwöhnt hat. Und wenn mit dieses Album eines zeigt, dann dass er gerne damit weitermachen kann. Egal ob mit Band oder ohne.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡⚫⚫⚫ 08/11
 
Persönliche Höhepunkte
Hand of God | Carnage | Albuquerque | Lavender Fields

Nicht mein Fall
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