Sonntag, 14. März 2021

Black History (nicht mehr) Month 3/2021: Rebel Music

Bad Brains - Bad BrainsBAD BRAINS
Bad Brains
ROIR
1982 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ rotzig | turbulent | optmistisch ]

Um direkt mal ganz ehrlich zu sein: Über eine sehr lange Zeit hinweg war das Debüt der Bad Brains für mich ein Album, mit dem ich nicht so richtig warm werden konnte und dass ich effektiv überbewertet fand. Bei aller theoretischen Wertschätzung, die ich für diese LP als definitiver Meilenstein des Hardcore-Punk und Inspiration für unzähliche Bands hatte, war es doch nie eine Platte, die ich um ihrer selbst willen gut fand. Erst als ich mich für diese Besprechung hier noch einmal ausführlicher damit beschäftigte und diese Songs mit einer anderen Erwartungskaltung hörte, fiel es mir leichter, mich damit anzufreunden. Zwar ist es immernoch sehr unwahrscheinlich, dieses Album eines Tages zu einem meiner ewigen Favoriten zu zählen und dafür eine so große Leidenschaft zu entwickeln wie die meisten Fans, doch mag ich inzwischen doch sehr das, was ich hier höre. Um mein persönliches Empfinden soll es hier aber sowieso nur zum Teil gehen, viel wichtiger ist an dieser Stelle der immense Einfluss, den die Bad Brains mit ihrer Musik auf andere hatten, vor allem in Bezug auf ihr Dasein als eine der wenigen großen BPOC-Bands im Bereich Hardcore. Wobei man zuerst mal sagen muss, dass sie damit eigentlich gar keine so große Ausnahme waren. In vielen US-amerikanischen Städten, in denen während der späten Siebziger und frühen Achtziger kleinere Punkrock-Bubbles aufkeimten, waren darunter auch nicht weiße Formationen wie beispielsweise Fishbone oder Pure Hell, die oft auch wichtige Impulse für die regionalen Underground-Gefüge setzten. Mal Ganz zu schweigen von der Bewegung in Großbritannien, die von Bands mit BPOC-Mitgliedern wie den Specials und den X-Ray Spex ganz wesentlich mitgeprägt wurde und in der Einflüsse aus Reggae und Ska auch bei Gruppen wie the Clash stattfanden. Wo es jedoch meistens schwierig wurde, war besonders in den USA die Vermarktung dieser Musik. Solange die Gruppen noch innerhalb der regionalen Szeneclubs stattfanden, waren sie ein gleichberechtiger Teil des Gefüges, das ebenso Teil dieses sehr heterogenen Ganzen war. Als es später aber darum ging, welche Acts von Labels aufgenommen und somit kommerziell Platten veröffentlichten konnten, waren es vordergründig weiße Künstler*innen, die davon profitierten. Als unschöne Parabel dient in dieser Hinsicht bis heute die Geschichte der Detroiter Protopunk-Band Death, die in den Siebzigern mit MC5 und den Stooges der allerersten Welle der Bewegung angehörten, jedoch erst 2009 ihr Debüt veröffentlichten. Was die Bad Brains historisch zur großen Ausnahme machte, deren Erfolg als nicht-weiße Gruppe in der Ursuppe des Hardcore tatsächlich gut dokumentiert ist. Mit diesem Debüt als ein Album, das bis heute zu den wichtigsten Eckpfeilern des ganzen Genres zählt. Zusammen mit Fresh Fruit for Rotten Vegetables von den Dead Kennedys und Damaged von Black Flag bildet es sowas wie die heilige Dreifaltigkeit der Bewegung in den frühen Achtzigern, deren Impulse heute nicht wegzudenken sind. Wobei die Bad Brains eine Schnittstelle ganz verschiedener Strömungen und Attitüden waren. Was ihren Ansatz damals so besonders machte war, wie schnell sie ihre Songs spielten und dabei selbst die Punkbands der Generation der Ramones überholten. Dabei war natürlich auch ihre Performance alles andere als technisch brilliant, Sänger H.R. kann man die meiste Zeit kein bisschen verstehen und die maximal räudige Produktion tat auf den frühen Alben ihr übriges. Das hier vierzig Jahre später zum ersten Mal zu hören, ist also selbst mit der Erwartung unsauberer Szenepunk-Standards erstmal eine ziemliche Breitseite. Und mehr als blindes Gedresche mit guten Pogo-Hooks sind die ersten fünf Songs eigentlich auch nicht. Banned in D.C. hat ein ziemlich cooles Gitarrensolo am Ende und die Mitgröhl-Hooks in Attitude und Sailin' On machen echt Spaß, aber übersprudelnde Kreativität ist auch was anderes. Zumindest bis hierhin. Denn der richtige Curveball kommt erst danach: Mit Jah Calling driften die Bad Brains auf Track Nummer sechs stilistisch völlig ab und schreiben ganz plötzlich einen mehr oder weniger reinförmigen Reggae-Song, der an diesem Punkt eine mittelgroße, wenngleich positive Überraschung ist. Und von diesem Moment an schlagen in der Brust dieser Band für den Rest ihrer Karriere quasi zwei Seelen: Die der rotzigen, ruppigen Punk-Berserker, die man ganz zu Anfang gehört hat und die der soften und teilweise auch sehr spirituellen Dub-Kapelle, die tief im religiösen Kontext des Rastafarismus steckt und das auch kommunizieren will. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es auf diesem Album eigentlich nichts. Anders als the Clash oder die Slits, die aus ihren deftigen Rock'n'Roll-Wurzeln und importierten Reggae- und Ska-Einflüssen ein harmonisches Amalgam formten, geht bei den Bad Brains entweder das eine oder das andere. Und obwohl darunter auch erheblich die Kohärenz dieses Albums leidet, ist es doch wenigstens abwechslungsreich. Vergleicht man diese LP hier mit den ersten Releases von Black Flag oder den Adolescents, die rückblickend doch sehr monoton und blaffig ausfallen, fällt es hier wesentlich leichter, die gesamte Spieldauer über interessiert zu bleiben. Denn dieses Album ist nicht nur vielseitig, sondern meistens auch gut umgesetzt. Auf der B-Seite überzeugen Right Brigade und I als deftige Stampfer, die fast schon an Motörhead erinnern und mit I Luv Jah und Leaving Babylon sind zwei weitere ziemlich coole Reggae-Nummern vertreten. Lediglich der aberwitzig betitelte Closer Intro ist in meinen Augen ziemlich sinnlos und ebenso wie der etwas verholperte Anfang könnte auch der Abschluss etwas bewusster erfolgen. Zwischendrin präsentieren sich die Bad Brains aber als unterhaltsame Gruppe, die vielleicht ziemlich chaotische und unfokussierte Musik machen, aber dabei trotzdem jede Menge Spaß haben. Als Kind der Zwotausendzehner finde ich es zwar unfassbar Schade, dass diese Platte nicht ein bisschen fetter klingt und mehr Nuancen in der Abmischung herausholt, aber ich weiß auch, dass das sehr dummes Wunschdenken ist. Trotzdem habe ich ich mich am Ende des Tages sehr mit dieser LP eingegroovt und sie auch ohne ihren ganzen Kontext als eines der besseren frühen Hardcore-Standardwerke empfunden. Mit dem ganzen Reggae-Ding tun sie sich und mir sowieso einen großen Gefallen, denn dafür bin ich immer zu haben. Was mich persönlich aber besonders freut ist, dass diese Besprechung erst dafür gesorgt hat, dass ich diesen Sinneswandel hatte und somit auch für mich nochmal ein veränderndes Erlebnis war. Was mich gerade bei so einem Klassiker immer extra freut.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Sailin' On | Attitude | the Regulator | Jah Calling | Supertouch/Shitfit | Leaving Babylon | F.V.K. (Fearless Vampire Killers) | I | Big Take Over | Right Brigade | I Luv Jah

Nicht mein Fall
Intro

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