Freitag, 12. März 2021

Was er alles kann

Lapalux - Total Reality, Total ChaosLAPALUX
Total Reality, Total Chaos
LPLX
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ ambient | esoterisch | experimentell ] 

Es gab auf diesem Format bisher nur wenige Musiker*innen aus dem Bereich Electronica, die ich über mehrere Jahre hinweg immer wieder aus purem Interesse gehört habe und die mein leider ja nach wie vor überschaubares Interesse für diesen Bereich des Pop wirklich lange Zeit aufrecht erhalten konnten. Und ehrlich gesagt findet sich selbst unter diesen nur selten jemand, für den ich eine dermaßene Leidenschaft hege wie für Stuart Howard alias Lapalux. Bereits seit etlichen Jahren höre ich nun mit großem Interesse die Platten des Briten, wobei diese nicht nur mit jedem Mal völlig anders klingen, sondern auch kontinuierlich besser werden. Und auch im Falle von Total Reality, Total Chaos ist das mal wieder der Fall. Zwar reden wir hier proforma nur von einer kleinen Zwischendurch-EP, die Howard sehr regelmäßig veröffentlicht und die meistens nichts besonderes sind, diese hier ist mit einer guten halben Stunde aber verhältnismäßig umfangreich und geht auch klanglich in eine neue Richtung. Nach dem bereits recht verkopften und ätherischen letzten Album Amnioverse von 2019 zieht es Lapalux hier nämlich endgültig in den Supernerd-Bereich der ambienten Popmusik: analoge Tapeloops. Ich will ich an dieser Stelle nicht zu sehr in Details verheddern, nur geht es bei dieser Art von Tracks um die Manipulation vorher aufgenommener Magnetbänder, die auch sehr viel mit Musique Concrète und Soundcollagen zu tun hat. Dabei verbindet sie die Liebe zu steinaltem Equipment mit einer Sammelleidenschaft für obskure Tapes und einer Meta-Faszination für Aufnahmetechnik, was sie schon immer zum Auffangbecken für Sonderlinge wie William Basinski und Steve Reich machte. Und auf den ersten Blick passt jemand wie Howard da eigentlich nicht so gut rein. Wenige Platten ist es her, da machte der Brite noch tanzbaren UK Garage und chilligen Schlafzimmer-Funk und war darin eigentlich auch ganz gut. Doch ist Lapalux eben auch ein Projekt, dass ständig neue Ausdrucksformen dazulernt und gerade zuletzt auch zunehmend in den abstrakten Elektro-Bereich tendierte. Mit der Folge, dass auch dieses Stück Musik wieder ein einwandfreies Ergebnis auf die Bühne bringt. Mit zwei sehr Sample-lastigen Longtracks, in denen auch Plunderphonic- und Spoken Word-Elemente vorkommen, macht Howard ordentlich Platz für seine leisetreterischen Soundscapes und brilliert letztlich vor allem in Details. Das Mastering beider Stücke ist der absolute Wahnsinn und wann immer irgendwo ein neues Movement das andere überlappt, sorgt das bei mir für helle Begeisterung. Ein inhaltlich oder kompositorisch besonders potentes Projekt ist Total Reality, Total Chaos dabei nicht, aber das waren die letzten von Lapalux auch nicht wirklich und mussten sie auch nicht sein. Sein Material waren schon immer auch dann gut, wenn es nicht besonders sein wollte. Wer von ihm ein analytisches Tapeloop-Projekt mit historischem Kontext wie von William Basinski haben will, ist hier falsch; hier geht es um den Spaß am arbeiten. Und zumindest den merkt man Howard in allen Momenten ziemlich an. Wobei ich auch ein bisschen hoffe, dass diese Techniken vielleicht nochmal zeitnah auf einem richtigen Albumprojekt Platz finden. Denn 30 Minuten sind zwar praktisch auch eine LP, von diesem Zeug könnte ich aber locker nochmal das doppelte verkraften. Mein Vertrauen hat dieser Typ inzwischen sowieso mit Allem.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Total Reality, Total Chaos (Part I) | Total Reality, Total Chaos (Part II)

Nicht mein Fall
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