Dienstag, 9. März 2021

Die geblieben sind

Kings of Leon - When You See YourselfKINGS OF LEON
When You See Yourself
RCA
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ entschleunigt | amerikanisch | melancholisch ] 

Um ganz ehrlich zu sein empfinde ich es mittlerweile als eine ziemlich gute Sache, dass 2021 ein Album der Kings of Leon erscheint und sich niemand mehr wirklich dafür interressiert. Nicht etwa, weil ich die Kings of Leon doof finde, im Gegenteil. Ich denke tatsächlich, dass es ihnen künstlerisch guttut, als Band nicht mehr dieses große Phänomen zu sein. Nach ihrer exzessiven Rockstar-Phase Anfang der letzten Dekade, die bei einigen Mitgliedern ernsthafte Burnout- und Drogenprobleme zur Folge hatte, war es 2016 das Album Walls, das den Familienbetrieb aus Nashville nach einer langen Pause wieder erdete und mit dem ich vor allem auch wieder Lust auf ihre Musik bekam. Und nach gesunden viereinhalb Jahren jetzt so ein entschleunigtes und absichtlich kleines Projekt wie When You See Yourself zu hören, fühlt sich psychologisch auf jeden Fall gut an. Auch wenn ich sagen muss, dass ich rein musikalisch ein bisschen gebraucht habe mit dieser LP. Das liegt ein wenig an den Songs selbst, sehr viel aber auch daran, wie wenig effektiv miese Musik sie in ihren 22 Jahren Karriere gemacht haben und wie viel davon für mich Liebe auf den ersten Blick war. Selbst in der etwas orientierungslosen Hangover-Phase nach Only By the Night waren Alben wie Come Around Sundown und Mechanical Bull nie ernsthaft scheiße und die Band legte zumindest immer ein solides Fundament an Songwriting aus. Auf When You See Yourself ist das zwar auch noch da, nur wird dieses oft sehr dünn ausgewalzt und muss mit weniger Kraft wesentlich mehr stemmen. Der Großteil der elf Stücke hier basiert auf sehr guten Grundideen und ist ordentlich durchkomponiert, doch springt die Band mir damit nicht mehr so ins Gesicht. Erstmals in ihrer Karriere verzichten die Kings of Leon absichtlich auf einen zugkräftigen Stomper als Leadsingle und halten den Ball in Sachen Dynamik bewusst flach. Die krachigsten Stücke auf When You See Yourself sind Songs wie the Bandit und Echoing, die energetisch auf dem gleichen Level sind wie die balladigsten Deep Cuts auf Only By the Night oder Because of the Times. Noch dazu gehen viele Tracks verhältnismäßig lange und brauchen erst Zeit, um wirklich aufzublühen. Gerade A Wave, 100,000 People oder das eröffnende Titelstück sind mit über fünf Minuten sehr stattlich geschnitten für ihre eher sparsame kompositorische Dynamik. Und ich muss zugeben, beim ersten Mal war ich dadurch ziemlich gelangweilt von dieser LP. Erst mit wiederholten Hördurchgängen und einem wohlwollenden Auge fürs Detail entfaltete sich bei mir das nicht zu unterschätzende Slowburner-Potenzial vieler Tracks. Und das ist mehr als auf allen anderen Alben durch Sound und Performance der Gruppe bedingt. Zum ersten Mal in meiner Karriere lerne ich hier, die Kings of Leon als eine Band zu schätzen, die mich klanglich begeistert, was sicher nicht unwesentlich damit zu tun hat, dass ein gewisser Markus Dravs hier die Produktion übernimmt. Der war seines Zeichens schon an so großartigen Platten wie Viva La Vida von Coldplay oder the Suburbs von Arcade Fire beteiligt und ist reichlich bewandert darin, eine kommerzielle Rockband auch ohne dicke Bretter richtig cool klingen zu lassen. Auf dieser LP gelingt ihm dahingehend aber ein wirklich besonders Kunststück. Ich kann mir viele Szenarien vorstellen, in denen ein so karges und entschlacktes Songwriting wie hier extrem lahm geklungen hätte und das Ergebnis wirklich unspektakulär geworden wäre. Dravs schafft es jedoch, genau in diesem Mikrokosmos die relevanten Details herauszusieben, die klanglich für spezielle Momente sorgen. Einen einzelnen Gitarreneffekt, eher hintergründige Pianos und Synthesizer, akzentuierte Basslines und vor allem die tausend stimmlichen Nuancen von Sänger Caleb Followill, der in meinen Augen noch immer einer der besten Rock-Vokalisten des neuen Jahrtausends ist. Ich will deshalb nicht gleich behaupten, dass When You See Yourself Musik für audiophile Vinyl-Nerds wäre, das ist es definitiv nicht. Viel eher schafft die Produktion genau die richtige Ausarbeitung für die Ästhetik, die die Kings of Leon mit diesen Tracks schaffen wollen: Eine, die nicht mehr so auf dynamische Stadionrock-Maßstäbe baut, sondern auf einen hochwertig inszenierten Minimalismus und damit die beste Version eines Albums für Liebhaber*innen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Band mit so einem Ansatz auch noch den letzten Rest der Erfolgsfans verliert, die ihnen noch übriggeblieben sind und neue werden wohl auch nicht dazukommen. Doch wer über den schwer zugänglichen, drögen ersten Eindruck der Platte nicht das Interesse verliert, wird auf lange Sicht mit einem ihrer schönsten Gesamtwerke belohnt, das nochmal völlig neue Facetten an ihnen hervorbringt. Und das mir zum wiederholten mal bestätigt, dass es gut war, ein Fan dieser Band zu bleiben. Spätestens jetzt, wo sich die lange Treue auszahlt, fühle ich mich auch als solcher.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
the Bandit | 100,000 People | Stormy Weather | A Wave | Time in Disguise | Echoing | Fairytale

Nicht mein Fall
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