Dienstag, 30. März 2021

Lass es uns nochmal versuchen

Xiu Xiu - OH NO XIU XIU
Oh No
Polyvinyl
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ schräg | kunstig | alptraumhaft ]

Dass ich die Arbeit von Xiu Xiu seit inzwischen gut sechs oder sieben Jahren mehr oder weniger vollständig ignoriere, war zu einem gewissen Zeitpunkt während der letzten Dekade eine durchaus bewusste Entscheidung. Eine Entscheidung, die ich bereits in einigen Fällen getroffen habe, wenn ein Act mich auch nach mehrmaligen Anläufen nicht von sich überzeugen konnte. Und im Falle dieser Band ist das tatsächlich noch milde formuliert. Zwischen 2012 und 2014, als ich mit dem Schreiben anfing, hörte ich ihre drei jeweils aktuellen Platten Always, Nina und Angel Guts: Red Classroom, von denen ich eigentlich alle als ziemlich furchtbar empfand. Und obwohl mein musikalischer Horizont damals definitiv noch nicht seine heutige Weite hatte und ich inzwischen womöglich etwas weniger drastisch darüber denken würde, wäre das grundlegende Ergebnis wahrscheinlich das gleiche. Ich halte mich für einen sehr optimistischen und wohlwollenden Musikfan, weshalb es schon etwas heißen muss, gleich drei Alben einer Band so grausig zu finden. Und seitdem hatte ich folglich beschlossen, dass es sich mit Xiu Xiu einfach nicht weiter lohnen würde. So weit so gut. Doof nur, dass seitdem der komplette Rest der Indiewelt total auf sie abzufahren scheint und sie mit jeder neuen Platte ein bisschen beliebter werden. Als ich die Kalifornier seinerzeit beseite legte, hatten sie zwar bereits einen respektablen Leumund als intellektuelle Kunstband für edgelordige /mu/-Nerds, der inzwischen aber nochmal wesentlich größer und umfassender geworden ist. Spätestens mit den von der Kritik fetischisierten letzten beiden Platten Forget und Girl With Basket of Fruit sind auch die weniger radikalen Internet-Kids nachgezogen, die Xiu Xiu in den experimentellen Artpop-Olymp lobpreisen und ihr eine unantastbare überkünstlerische Aura verpassen, die beeindruckend ist. Was eine weitere Nicht-Beschäftigung mit der Band natürlich schwierig macht und mich nun doch nochmal mein Schweigen hat brechen lassen. Mit dem Resultat, dass ich tatsächlich mit dieser Musik warm zu werden scheine und zumindest Teile dieser Platte ziemlich genossen habe. Oh No ist anhand dessen, was ich von ihrem sonstigen Material bisher gehört habe, eine ihrer zugänglicheren LPs und rühmt sich vor allem mit einer ganzen Reihe prominenter Gastperformances. Sharon van Etten ist hier, Greg Saunier von Deerhoof, Twin Shadow, Owen Pallett, Chelsea Wolfe und die Liars, um nur ein paar zu nenen. Wie groß deren Beitrag in den individuellen Songs letztendlich ist, fällt insgesamt sehr unterschiedlich aus, wobei eines mit Sicherheit gesagt werden kann: In keinem Moment wirkt das hier aber wie ein Gorillaz-mäßiger kreativer Think Tank oder ein Rein-raus-Sessionprojekt, sondern immer eindeutig wie die Vision von Xiu Xiu. Allerdings ist auch diese hier sehr unstet und vielschichtig, zumal die Band uns hier durch ein seltsames Gruselkabinett an Artpop-Alpträumen führt. Da gibt es Stücke wie Goodbye for Good, Fuzz Gong Fight oder den Titelsong, die sehr verschroben, düster und kunstig anmuten, seltsam-witzige Augenblicke wie den Closer Ants oder einige teils memetische Lyrics von Sänger Jamie Stewart, aber auch unerwartete Banger wie Rumpus Room, die mich sehr an die Talking Heads oder David Bowie erinnern. Strukturell chaotisch wirkt Oh No dabei selten, was aber hauptsächlich daran liegt, dass es ein gewisses Chaos als naturgegeben wahrnimmt. Wenn in One Hundred Years Chelsea Wolfes Stimme mit Autotune zugepappt wird oder A Bottle of Rum klingt wie ein Erwachsenenrock-Brett aus den Achtzigern, gehört da genauso zum Konzept wie das völlig außer Kontext stattfindende Spoken-Word-Gedicht von Susanne Sachsse im Titeltrack. Nicht wenige Momente haben dabei etwas aberwitzig-grotestkes, weshalb es mich nicht wundert, dass auf diese Band vor allem die Shitpost-Legionen von /mu/ abfahren. Und ja, auch ich finde das irgendwie cool. Die Variante von kunstigem Avantgardismus auf Oh No ist definitiv eine, die mich persönlich anspricht und obwohl dabei einige songwriterische und performative Entscheidungen noch nerven (die ich aber meistens eher langweilig finde als verwirrend oder anstrengend), stört mich zumindest nicht mehr das eigentliche Konzept der Gruppe. Ob das daran liegt, dass ich meinen Musikgeschmack verändert habe oder doch eher Xiu Xiu ihre Musik, kann ich nicht so richtig beurteilen. Fakt ist allerdings, dass auch ich gerade auf dem besten Weg bin, einer der Leute zu werden, die diese Band online abfeiern. Hier ist der Moment zwar noch nicht ganz gekommen, doch sehe ich hinter den Schönheitsfehlern auf diesem Album etwas, das mich grundsätzlich sehr faszinieren könnte. Und ich hasse es, das zu sagen, aber vielleicht sollte ich doch nochmal ihre letzten paar Platten auschecken. Zumindest die, die ich wirklich noch nicht gehört habe.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
I Cannot Resist | Rumpus Room | One Hundred Years | A Classic Screw | It Bothers Me All the Time | Saint Dymphna | A Bottle of Rum | Ants

Nicht mein Fall
Goodbye for Good | Knock Out

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