Donnerstag, 1. April 2021

Ein Freund von mir

For Those I Love - For Those I Love
FOR THOSE I LOVE
For Those I Love
September
2019/2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ tragisch | erzählerisch | warm | menschelnd ] 

Dass For Those I Love eines der spannendsten Debütalben der letzten paar Jahre ist, kann ich ruhig gleich am Anfang sagen, denn um das festzustellen, brauchte ich hier nicht lange. Und es spart mir in dieser Besprechung letztendlich den Platz, den ich brauche, um zu erklären, wieso das so ist. Denn wenn wir uns mit diesem Album beschäftigen wollen, gibt es definitiv einiges zu sezieren. Die erste wichtige Randnotiz dabei: Eigentlich ist For Those I Love zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre alt und damit gar nicht mal mehr so neu. Als unscheinbarerer Download erschien die Platte bereits im Sommer 2019, was diese Version, die nun auch auf Vinyl und CD bei September Recordings erschienen ist, quasi schon zu einem Rerelease macht. Allerdings zu einem sehr wichtigen, denn nicht nur erreicht die LP gerade wesentlich mehr Leute als der Prototyp, auch wird sich dadurch intensiver mit den Inhalten, Motivationen und der Geschichte dahinter beschäftigt. Einer Geschichte, die mir selbst dann ans Herz gehen würde, wenn die dazugehörige Musik totaler Müll wäre und die ich hier in aller Knappheit einmal erklären will. For Those I Love ist der Projektname des Dubliner Musikers David Balfe, der normalerweise in der Postpunk-Band Burnt Out spielt. Deren Sänger und kreativer Kopf Paul Curran nahm sich vor etwas mehr als zwei Jahren das Leben, was seinen Kollegen und besten Freund Balfe sowie den gesamten Freundeskreis des Künstlers in ein tiefes emotionales Vakuum stürzte. Einen Zustand, den der Ire nun versucht, in diesem Album zu verarbeiten und auch irgendwie zu verstehen. For Those I Love ist dabei proforma sein Soloprojekt, das allerdings vordergründig für dieses spezielle Album existiert und damit sowohl losgelöst von ihm als Person stattfindet als auch Projektionsfläche für Currans persönliches Umfeld an sich ist. Denn eines der wichtigsten inhaltlichen Motive der Platte ist tatsächlich der Zusammenhalt seiner Angehörigen und im weiteren Sinne die Wichtigkeit von Freundschaft. Wenn sich hier an den Verstorbenen erinnert wird, dann immer in Form von gemeinsamen Erinnerungen, die eine intime Nähe und ein wirkliches Vertrauensverhältnis beschwören. Balfe und er erscheinen hier wie echte Seelenverwandte, die zussammen gegen die Grausamkeit der Welt ankämpfen, die an vielen Stellen ebenso stark geschildert wird. Gerade auch in der Beschreibung der Zeit nach Currans Tod holt das Album viele Eindrücke aus seiner unmittelbaren Umwelt heraus, die fast immer trostlos und düster erscheinen. Lyrisch entsprechen sie dabei sehr der urbananen Arbeiterklassen-Tristesse, die man auch sonst aus der Musik von jungen britischen Künstler*innen kennt, nicht zuletzt weil Fußballfan-Kultur hier ein wiederkehrendes Thema ist. Das alles zeichnet irgendwie ein sehr cineastisches Bild, das extrem eindrücklich ist und die inhaltliche Tragik zu jedem Zeitpunkt lebhaft macht. Performativ findet es dabei irgendwo in der Grauzone von Rap und Slam Poetry statt, die ich auch bei Leuten wie Kae Tempest so faszinierend finde, hat vom Vibe her aber auch viel von Mike Skinner oder den Sleaford Mods geborgt. Und im Gegensatz zu der Marke Spoken Word, die ich hier sonst so bespreche, ist For Those I Love auf eine bestimmte Art sehr jugendlich. Einerseits dadurch, dass hier eben über viele adoleszente Themen wie persönliches Wachstum und Freundschaft gesprochen wird, zum anderen aber auch der musikalischen Kulisse wegen. Denn statt hier mit akustischen Gitarrenmotiven oder ambienten Soundscapes seine Trauer zu illustrieren, kleidet David Balfe mit clubbigem Electronica und schmissigen Progressive House seine Trauerarbeit aus. Dieser ist nicht selten tatsächlich tanzbar und wäre es nicht um die tragischen Texte, könnte man dazu einigermaßen gut in irgendeinem hippen Großstadtclub abhotten. Widersprüchlich erscheint diese Kombination nur auf den ersten Blick, denn in die Lebenswelt des Albums passt sie extrem gut. Sie fängt irgendwie die Kälte und Melancholie ein, von der Balfe oft spricht, hat aber auch dieses getriebene und haltlose Element, das textlich nur zwischen den Zeilen existiert. Und spätestens wenn es in einigen Songs darum geht, sich auf Partys innerlich leer zu fühlen und nur das emotionale Loch mit Alkohol zu stopfen, ist die Clubkulisse auf groteske Weise genau das richtige. Insgesamt ist es dabei die Art und Weise, wie alle Elemente dieses Albums zusammenspielen, die For Those I Love so unglaublich faszinierend und besonders macht. Das vorliegende Material ist keinesfalls perfekt und man merkt definitiv, dass David Balfe sowohl im Electronica- als auch im Spoken Word-Bereich wenig Erfahrung hat. Dass er es trotzdem macht und damit noch dazu große Gefühle zu illustrieren vermag, macht diese Platte aber nicht weniger als grandios. Wäre das hier ein normales Soloprojekt, wäre ich gespannt, wie sich dieser Sound auf folgenden Alben entwickelt und wächst. Da dieses aber sehr wahrscheinlich das einzige von For Those I Love (zumindest unter diesem Namen) bleiben wird, muss es für sich alleine stehen. Daran dass es das schafft habe ich allerdings nicht den geringsten Zweifel.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
I Have A Love | To Have You | the Myth / I Don't | the Shape of You | Birthday / the Pain | You Live / No One Like You | Leave Me Not Love

Nicht mein Fall
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