Montag, 5. April 2021

Heute fährt die 11 bis nach Istanbul

El Michels Affair - Yeti Season EL MICHELS AFFAIR
Yeti Season
Big Crown Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ groovig | organisch | folkloristisch ]

Ich weiß nicht ob es an mir und meinen spezifischen Radarjustierungen für das Entdecken neuer Musik liegt, doch irgendwie scheint es im Frühjahr 2021 einiges Interesse für organischen Jazz-Funk und instrumentalen Soul zu geben. Bereits zwei frische Alben aus dieser (gesamtkulturell ja sehr kleinen) Nische spülte es in den letzten drei Monaten in mein Umfeld, eines von der Menahan Street Band und eines vom Delvon Lamarr Organ Trio. Und obwohl ich beide davon eher okay und mäßig interessant fand, weckten sie irgendwie ein Interesse für diese Musik, das ich vorher nie wirklich hatte. Was nun, wo innerhalb recht kurzer Zeit das dritte Album dieser Art auf meinem Schreibtisch landet, nicht nur langsam einen Trend andeutet, ich möchte auch definitiv darüber schreiben. Zumal Yeti Season von El Michels Affair die erste dieser besagten LPs ist, die mich auch einigermaßen musikalisch abholt. Unter anderem deshalb, weil sie stilistisch ein bisschen komplexer ist. Von dem wenigen, was ich über die Band dahinter in Erfahrung bringen konnte, kommt sie ursprünglich aus einem Hiphop-Kontext, hat ihre Palette aber über die Jahre immer mehr erweitert. Seit geraumer Zeit spielt die elfköpfige (!) Formation nun größtenteils instrumentalen Jazz-Funk, der sehr an Gruppen wie die Budos Band oder altes Zeug von Quincy Jones erinnert. Speziell im Fall von Yeti Season kommt dabei aber ein weiterer spannender Faktor hinzu, da dieses Album sich ziemlich intensiv mit westasiatischen Pop-Ästhetiken beschäftigt. Mit Versatzstücken aus anatolischer Rockmusik, ein bisschen Oldschool-Bollywood-Flair und vor allem der Hilfe von Sängerin Piya Malik (über die das Internet mir leider absolut nichts mitzuteilen wusste) schaffen El Michels Affair hier einen vielleicht etwas gepanschten, aber stets recht unterhaltsamen Sound, mit dem sie auch ein paar echt gute Songs schreiben. Nicht selten erinnern sie dabei an Gruppen wie Altın Gün oder Khruangbin, stellenweise aber auch an entferntere Sachen wie Dikanda oder sogar Goat. In Tracks wie Lesson Learned und Fazed Out kommt außerdem nochmal im großen Stil das Jazzfunk-Grundlagentalent der New Yorker zum Vorschein, das im Hintergrund durchweg ein wichtiger Faktor ist. Und vor allem wenn die Band hier ihre dicken Bläsersätze an die Front der Tracks setzt, entfaltet das Songwriting hier seine größte Wirkung. Was auch noch cooler dadurch wird, dass die Produktion stets herrlich weich und organisch gehalten ist und dadurch an vielen Stellen tatsächlich klingt wie irgendein obskurer B-Movie-Soundtrack aus den Siebzigern. Zwar muss ich auf kompositorischer Seite hinzufügen, dass der eingängige Appeal dieser Tracks nach mehreren Hördurchgängen etwas nachlässt, langweilig wird Yeti Season danach trotzdem nicht. Unter den vielen LPs aus den letzten Jahren, die auf verschiedene Weisen mit westasiatischen Ästhetiken herumspielen, gehört das hier sicher mit zu den besseren, aus der sich einige echte Hits durchaus mitnehmen lassen. Zuallermindestens landet aber bestimmt wenigstens ein Track hier mal in irgendeinem richtig guten Hiphop-Sample. Und auch die muss ja irgendjemand machen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Unathi | Fazed Out | Murkit Gem | Dhuaan | Perfect Harmony | Silver Lining | Zaharila | Last Blast

Nicht mein Fall
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