Samstag, 10. April 2021

Der Schmerz der heilenden Seele

Demi Lovato - Dancing With the Devil... The Art of Starting Over DEMI LOVATO
Dancing With the Devil...the Art of Starting Over
Island Records
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
[ melodramatisch | aufarbeitend | soulig ]
 
Spätestens seitdem 2017 Kesha ihr mittlerweile in vielerlei Hinsicht prägendes Album Rainbow nicht nur dazu nutzte, die Dämonen ihrer Vergangenheit abzuschütteln und öffentlich zu heilen, sondern nebenbei auch noch einen gigantischen kommerziellen Hit einzufahren, scheinen in der Welt der Popmusik nach und nach alle großen Start damit an der Reihe zu sein, ihre persönliche Version dieser LP aufzunehmen. Stand 2021 gibt es Platten mit vergleichbaren Inhaltskonzepten von Justin Bieber und Miley Cyrus, Ariana Grande, Kehlani, Halsey und sogar Britney Spears. Einige davon waren klasse, andere totaler Müll und die meisten ganz okay. Und wenn ich in dieser Besprechung eines nicht will, dann irgendeinem dieser Alben ihren Status als ehrlich gemeinte, sehr intime und kathartische Statements absprechen, die sie aus Sicht der Künstler*innen selbst wahrscheinlich sind. Nur wurmt es mich in den vergangenen Jahren zusehends, wie sehr diese Art von Album zu einer Art Trend verkommt, bei der auch kommerzielle Motive nicht selten glaubhaft unterstellt werden können. Dass sich jemand wie Demi Lovato in diesen einreiht, war dabei vielleicht nur eine Frage der Zeit, sorgte bei mir aber für gemischte Gefühle. Denn an und für sich habe ich die Kalifornierin in den letzten Jahren als durchaus talentierte Musikerin schätzen gelernt, die für einige der coolsten Pop-Banger der vergangenen Dekade verantwortlich war und darin echt Attitüde entwickelte. Eine gewisse emanzipatorische Girlpower-Energie geht dabei schon länger von ihrer Musik aus und sie als Performerin (vor allem im Vergleich zu vielen anderen jungen Künstlerinnen aus der Ex-Disney-Teeniestar-Pipeline) har eigentlich schon lange ein Charisma, das auf mich sehr souverän und abgebrüht wirkt. Dass sie hier also (noch) eine feministische Selbstheilungs-Platte macht, auf der sie plötzlich sehr verletzlich ist, kommt also zumindest überraschend. Was Dancing With the Devil...the Art of Starting Over als Idee anging, war ich also auf jeden Fall gespannt. Rückblickend hätte mir der sperrige und pretenziöse Albumtitel aber auch direkt eine Warnung sein können, denn wenn überhaupt, dann hat Lovato hier eine sehr anstrengende und unglückliche Platte gemacht, die vor allem die Schattenseiten ihres Songwritings offenbart. Obwohl ich wie gesagt in keinem Moment daran zweifle, dass die Künstlerin alles hier gesagte ernst meint und das alles wirklich fühlt, ist es doch eine ganz andere Frage, ob sie diese Art von Seelenstriptease auch künstlerisch kommunizieren kann. Stilistisch erinnert mich vieles hier sehr an die letzten Alben von Christina Aguilera und Halsey, die ihren inneren Exorzismus auch mit einer gehörigen Portion Soul abschmeckten und dabei auch ruhig mal rotzig sein konnten. Wo das bei denen aber deshalb funktionierte, weil sie talentierte Performerinnen sind, die einen gewissen klanglichen Schmackes gut verkaufen können, ist das bei Lovato leider nicht der Fall. Schon die ersten Noten des Openers Anyone, die ausgerechnet mit einer ziemlich furchtbaren R'n'B-Vokalise beginnen müssen, offenbaren das sehr deutlich und danach wird es nur selten wirklich besser. Weder Lovatos gesangliche Leistung noch die dazugehörigen Texte noch das, was musikalisch geboten wird, haben konzeptuell so richtig Hand und Fuß und folgen zu oft dem melodramatischsten aller möglichen Klischees. Erst nach drei Songs, in denen Lovato soft-soulig ihr seelisches Leid umreißt, folgt das furchtbar pretenziöse gesprochene Intro, das sozusagen der Übergang in die therapeuthische Emanzipations-Phase des Albums ist. Die ist dann im großen und ganzen ein bisschen weniger schlimm, krankt aber trotzdem an zu vielen doofen künstlerischen Entscheidungen. Oft denkt man nach okayen Stücken wie Met Him Last Night, What Other People Say oder the Kind of Lover I Am, dass die Platte sich jetzt fängt und hoffentlich besser wird, nur um kurz danach wieder mit der Cringe-Keule verdroschen zu werden. Sei das in Form des extrem weirden Autotune-Extros in the Kind of Lover I Am, dem eklig Christina-Perri-mäßigen Easy mit Noah Cyrus oder einer absolut grausigen Coverversion von Tears for Fears' Mad World (Ihr wisst schon, "all around me are familiar faces..."), die ich keine Sekunde ernst nehmen kann. Dummerweise sind es dabei immer die Tracks mit den meisten offenen Wunden, die am wenigsten gelingen, während fluffige Konsens-Hits wie Melon Cake oder My Girlfriends Are My Boyfriend mehr oder weniger reibungslos funktionieren und sogar teilweise ziemlich cool sind. Kompletter Mist ist dieses Album also bei weitem nicht, nur ist es trotzdem viel zu viel davon. Was bei einer Tracklist von 19 Tracks in nur 52 Minuten auch kein Wunder ist. Folglich fällt es mir einigermaßen schwer, hier wirklich eine Bilanz zu ziehen. Nimmt man die Tracks für sich, gibt es hier durchaus eine Handvoll darunter, die ich ziemlich stark finde und die zumindest Potenzial haben. Daneben gibt es aber nicht nur viele weniger gute Songs, die Lovato wirklich flach und peinlich wirken lassen, vor allem ärgert mich Dancing With the Devil als Gesamtwerk. Das Narrativ, das die Künstlerin hier inhaltlich aufbauen will, ist an so vielen Stellen schwach und brüchig und hält einfach nicht das Gewicht, das sie ihm hier aufbürdet. Statt stark und entfesselt zu wirken scheint es so, als würde sie eine Checkliste von Punkten abarbeiten, wie ein intimes Soul-Album zu klingen hat und aus Unsicherheit noch ein paar fetzige Konsens-Hits dazupacken, falls das nicht funktioniert. Rein von der Ästhetik her ist es mir also ziemlich zuwider. Wie gesagt nicht deshalb, weil ich die Message hier nicht mag, sondern weil Demi Lovato diese nicht kommunizieren kann. Und so lange kann ich das hier leider nicht fühlen. Sorry.

🔴🔴🔴🟠🟠⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 05/11

Persönliche Höhepunkte
ICU (Madison's Lullaby) | Met Him Last Night | What Other People Say | the Kind of Lover I Am | My Girlfriends Are My Boyfriend

Nicht mein Fall
Anyone | Intro | Easy | 15 Minutes | Mad World

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