Dienstag, 13. April 2021

Der nie enden wollende Kampf

Brockhampton - Roadrunner: New Light, New Machine
BROCKHAMPTON 
Roadrunner: New Light, New Machine
Question Everything / RCA
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 

[ soft | boybandig | verhalten ]

Man muss sich nur mal die Posts anschauen, die ich bisher über die Band Brockhampton geschrieben habe, um zu wissen, dass ich noch nie wirklich ihr größter Fan war. Vor allem 2017, als sie mit ihrer berühmt-berüchtigten Saturation-Trilogie der Hiphop-Szene gleich einen dreifachen Leberhaken verpassten, war ich einer von denen, die das ganze eher skeptisch mitverfolgten und ein gewisse Distanz dazu suchten. Nicht dass ich es nicht mochte, ich traute nur dem Hype nicht unbedingt. Doch selbst ich mit all meinen Zweifeln war damals der Meinung, dass ich es hier grundsätzlich mit einer extrem talentierten Band zu tun hatte, die immens viel Potenzial zeigte. Wobei ich mir vier Jahre später erstmals die Fragen stellen muss, was daraus nun eigentlich geworden ist. Eine Überlegung, bei der es auch wichtig ist, die schwierige Laufbahn der Gruppe in den letzten Jahren einzubeziehen. Mit der Kontroverse um Ameer Van 2018 stürzten Brockhampton direkt nach ihrem Drei-LP-Powermove in eine unerwartet tiefe Sinnkrise, die das Momentum von Saturation spürbar dämpfte und eine bleibende Narbe in ihrer Diskografie hinterließ. Dass diese Zeit eine schwere für das interne Gefüge der Jungs war, ist im Nachhinein unbestreitbar. Andererseits muss ich auch sagen, dass mit Ginger eine Saison später die Platte erschien, die die Formation wieder als gestärkte Einheit wirken ließ, die sich durch die Krise zwar verändert hatte, aber auch wieder voll anpacken wollte. Und an diesem Punkt des Neustarts setzt nun, weitere zwei Jahre später, diese neue LP namens Roadrunner an. Die erste gute Nachricht für die alten Fans düfte dabei sein, dass Brockhampton wieder optimistischer klingen. Der Schalk im Nacken und die kreative Coolness, die Saturation einst so aufregend machten, kehren hier in Ansätzen zurück, wobei gerade die erste Hälfte der LP an vielen Stellen wie eine umfassende Renaissance dieser Phase klingt. Ein bisschen fühlen sich Songs wie Windows, Chain On und Buzzcut an wie die Musik, die hätte sein können, wäre Ameer nicht passiert und alles nach 2017 einfach weitergegangen. In dieser Variante wirkt es zwar ein wenig abgeschwächt, doch trotzdem noch als eindeutiger Fokuspunkt auf Roadrunner. Wobei es zu diesem Eindruck auch sehr beiträgt, dass ansonsten mal wieder viel Ruhe ist bei Brockhampton und die Band allem Anschein nach gar nicht mehr so draufgängerisch unterwegs sein will. Und grundsätzlich ist das ja das absehbare Ergebnis eines schleichenden Prozesses. Schon während Iridescence und Ginger wurden die Songs dieser Gruppe etwas ruhiger und dezenter, nicht selten auch mit einem starken Drift in Richtung R'n'B und Neunziger-Boyband-Pop. Und wo das gerade auf letzterer LP gar nicht übel war, hoffte ich doch ein bisschen, dass man über kurz oder lang wieder in die Arme des Hiphop zurückfinden würde, die der Formation bis hierhin noch immer am besten standen. Roadrunner hat diese Momente wieder verstärkt, lässt jedoch noch genug vom Schmonz und Süßholzgeraspel der letzten Jahre übrig, um mindestens eine Hälfte der Platte damit zu füllen. Die 46 Minuten der LP funktionieren dabei als klassische Yin- und Yang-Ästhetik: Wo die erste Hälfte die energische mit den rotzigen Bangern und Gastparts von Danny Brown, dem A$ap Mobb und Jpegmafia ist, dreht sich spätestens nach Windows der Spieß in Richtung des souligen Teenpop-Sounds um, der nun eben das andere klangliche Extrem dieser Band ist. Die Art und Weise, wie der Song Windows dabei als Übergang funktioniert und zwischen den Welten überleitet, ist absolut genial und natürlich sind auch die Songs auf der zweiten Hälfte gut gemacht. I'll Take You On spielt ziemlich geschickt mit nostalgischen NSYNC- und Take That-Klischees, What's the Occasion pendelt irgendwo zwischen trappigem Bedroom Pop und Liam Gallagher und When I Ball hat sehr was vom letzten Album von Tyler, the Creator. Mit dem Closer the Light Pt. II ziehen die Texaner sogar einen wirklich emotionalen Schlussstrich. Einem Teil von mir fällt es dabei immer noch schwer, diese Veränderung vollends zu akzeptieren, doch muss ich auch einfach zugeben, dass Roadrunner vor allem kompositorisch wieder mal äußerst kreativ ist. Viele Teile der Produktion sind in meinen Augen ebenfalls schick gemacht, allerdings hätte die LP insgesamt deutlich mehr Bums vertragen. Ein Faktor, bei dem ich dann tatsächlich auch mal sagen muss, dass er ein Rückschritt zu den alten Alben ist. Wobei es Brockhampton grundsätzlich erneut schaffen, sich künstlerisch davon zu emanzipieren. Das ziemlich gute Level, das sie mit Ginger vor zwei Jahren etabliert hatten, wird hier definitiv gehalten, die vielen kleinen Schönheitsfehler sind aber auch noch da. Auch Roadrunner ist mit Sicherheit nicht das Album, das eine gewisse Restskepsis meinerseits vollständig ausräumen kann, viel eher leistet es ein weiteres Mal die Überzeugungsarbeit, mich kontinuierlich an diese Band glauben zu lassen. Und die Hoffnung nicht zu verlieren, dass die eine Hammerplatte von ihnen vielleicht doch irgendwann noch kommt.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Chain On | the Light | Windows | I'll Take You On | Don't Shoot Up the Party | the Light Pt. II

Nicht mein Fall
Dear Lord

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