Freitag, 30. April 2021

Endlich Jetzt

Porter Robinson - NurturePORTER ROBINSON
Nurture
Mom+Pop
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ unbeschwert | hyperpoppig | sonnig | futuristisch ]

Ich wusste vor diesem Album wirklich nicht viel über den Künstler Porter Robinson und befand mich lange Zeit in einem Verhältnis zu ihm, das ich als unbeschwerte Ignoranz bezeichnen würde. Ich wusste irgendwie, dass er vor etlichen Jahren mal ein relativ beliebtes EDM-Album gemacht hatte, das ich aber niemals selbst gehört hatte. Und da man seitdem nicht mehr von ihm hörte, ging ich einfach davon aus, dass die Welt an seinem Output einfach kein Interesse mehr hatte. Als ich vor einigen Tagen ob des kleinen Hypes um diese neue LP wegen nochmal nachschaute, merkte ich, dass mein Wissen um ihn so eingeschränkt gar nicht war. Denn stand letzten Freitag ist Nurture tatsächlich erst der zweite Longplayer des Kaliforniers und damit der einzige, den er seit besagtem damaligen Debüt (Worlds heißt dieses übrigens und erschien im Sommer 2014) gemacht hat. Was seinen Output an diesem Punkt fast schon nicht mehr zu einem Comeback, sondern fast schon zu einem kompletten Neuanfang macht. Denn was auf Nurture passiert, nimmt nicht nur zeitlich großen Abstand zu seinem Erstling, sondern auch stilistisch. Weil progressiven EDM der Marke Avicii und Calvin Harris 2021 niemand mehr machen will, verpasst Robinson seinem Sound auf diesen 14 Tracks ein zeitgenössisches Update und orientiert sich hier umfassend in Richtung Hyperpop und monogenrigem Crossover-Elektro um. Wo das auf dem Papier aber erstmal klingt wie ein Schachzug in Richtung der quotenstarken Playlisten und coolen Tiktok-Kids, scheint hinter der Frischzellenkur auf Nurture wirklich eine ernste Leidenschaft zu liegen. Denn wollte Robinson hier nur Hits schreiben, könnte er das sicherlich auch ohne den ganzen kompositorischen und klanglichen Extraaufwand tun. Dass Eingängigkeit nicht sein Problem ist, zeigen hier Tracks wie Musician oder Look at the Sky, die mit ihren schnuffligen, aber doch irgendwie nachdenklichen und präsenten Vibes optimal zugeschnitten sind auf ein modernes Gefühl von Popmusik und sich auch nicht schämen, kommerziell zu sein. Was mich hingegen erstaunt ist, wie weit die Platte dahinter trotz solcher Spitzen in den experimentellen Bereich abtaucht und stellenweise wirklich herausfordernd wird. In nicht wenigen Tracks hört man an Iglooghost oder PC Music erinnernde Glitch-Elemente und abgefahrene Parts nicht nur im Sinne bratzig-ironischer Hyperpop-Einflüsse, sondern sinfonischer Kunstmusik. So wäre der Opener Lifelike in einem niedlich-verpixeltem Indiegame nicht schlecht aufgehoben und Wind Tempos tobt sich in seinen über sechs Minuten auf unzählige Weisen im pittoresken Neofolk aus. Analoges Instrumentarium taucht dabei auf dem gesamten Album immer wieder auf und erinnert mich an die Elektrofolk-Experimente von Leuten wie Bibio, Bon Iver oder Four Tet, was im krassen Gegensatz zur bratzigen Ästhetik einiger anderer steht. Dann gibt es aber auch Tracks wie Dullscythe, in denen beide Ansätze sich begegnen, was den tollen Effekt hat, dass Nurture trotz seiner Vielseitigkeit niemals chaotisch oder unfokussiert klingt. Im Gegenteil: Porter Robinson erschafft hier eine Ästhetik von zeitgenössischer Elektromusik, die viele Dinge miteinander verbindet. Sie ist sehr eingängig, aber auch krass kreativ. Sie hat viel vom Spirit der Hyperpop-Bubble, schafft aber auch sehr viel Organik und innere Ruhe. Sie klingt gleichzeitig extrem kommerziell als auch nach tief empfundener Liebe zur Frickelei. Und das beste daran: Alles davon funktioniert zu ihrem Vorteil. Auch wenn ich die vorherigen Sachen von Porter Robinson so gut wie gar nicht kenne, habe ich den Eindruck, dass die Jahre danach genutzt wurden, um hier einen wirklich eigenen Sound zu schaffen, der sehr viele Impulse in sich aufnimmt und am Ende etwas präsentiert, das wirklich besonders ist. Sowohl für den Künstler selbst als auch für den Zeitgeist der Popmusik, der von so einer Platte definitiv nur profitieren kann. Die Nerds hat er dabei schon für sich gewonnen, zum Ausfüllen des Spektrums braucht er jetzt nur noch einen Tiktok-Hit.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡⚫⚫ 09/11

Persönliche Höhepunkte
Lifelike | Look at the Sky | Wind Tempos | Musician | Dullscythe | Mirror | Something Comforting | Blossom

Nicht mein Fall
-
 
 
 
Hat was von
the Naked & Famous
Recover
 
Iglooghost
Lei Line Eon

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