Mittwoch, 7. April 2021

F# A# Infinity

Godspeed You! Black Emperor - G_d's Pee AT STATE'S END! GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR
G_d's Pee at State's End!
Constellation
2021
 
 
 
 
 
 
 


[ abstrakt | verdröhnt | nostalgisch ] 

Wenn ich Godspeed You! Black Emperor als eines immer ganz besonders bewundert habe, dann als eine Band mit Überzeugungen, die sich auch von inzwischen mehreren Dekaden des internationalen Erfolgs nicht verbiegen lässt. Über 25 Jahre nach ihren Anfängen in der Montréaler Anarchopunk-Bewegung sind die KanadierInnen von ihren aktivistischen, emanzipatorischen Standpunkten keinen Meter abgerückt und verkaufen ihre Haut noch immer maximal teuer. Wobei es dazu irgendwie auch immer gehörte, dass sie in ihrer Karriere keinen Platz für Nostalgie hatten. Im Zuge der zwanzigjährigen Jubiläen von mittlerweile legendären Platten wie Lift Yr. Skinny Fists Like Antennas to Heaven oder F# A# ∞ hätte man während der letzten Jahre sicherlich die ein oder andere lukrative Exklusiv-Tour oder Sonderbox verkaufen können, doch gab es außer einem schlichten Vinyl-Remaster 2018 (von allen beiden Alben) keine besonders großen Anstalten, irgendwie nostalgisch zu werden. Und wenn es um neues Material ging, blickte die Band umso sturer geradeaus. Ihr Output während der letzten Dekade (abgesehen von Allelujah! Don't Bend Ascend, das im wesentlichen aus älteren Sachen bestand) war unter vielen Fans vor allem deshalb nicht besonders beliebt, weil es absichtlich kürzere Spannungsbögen suchte und in allem ein klein wenig schlichter war als die Klassiker in den Zwotausendern. Und ich für meinen Teil hatte geglaubt, dass Godspeed auch in den Zwanzigern diesen Weg weiter beschreiten würden, was in Hinblick auf ihre neue LP auch nicht komplett falsch geraten war. Viele Elemente hier sind durchaus Erweiterungen der Ideen, die es schon 2017 auf Luciferian Towers gab und an denen die Band schon lange köchelt. So wurde hier ein gewisses Faible für elektrische Orgeln, das am Vorgänger das sicherlich größte Novum war, noch ein kleines bisschen ausgebaut und wie zuletzt häufiger jene Momente aufgebaut, in denen die lauernden Streicher, die besagte Platte erst so gut machten, wieder toll zur Geltung kommen. Ganz zu schweigen davon, dass G_d's Pee at State's End! mit 52 Minuten Spielzeit wieder eher zu den kürzeren Stücken der KanadierInnen gehört. Trotzdem kann ich mich hier die meiste Zeit über des Eindrucks nicht erwähren, dass Godspeed hierfür auch ein bisschen in der Mottenkiste gekramt haben. Und damit meine ich vor allem die Zeit ihrer ersten Alben von etwa 1997 bis 2000, in der ihr "klassischer Sound" noch ein wenig laufen lernte. An vielen Stellen hier sind die Streicher deutlich weniger epochal und euphorisch als zuletzt, dafür gibt es wieder jene verhuschten Drone-Passagen, die schwermütig und finster anmuten und die man vor allem aus den Neunzigern kennt. Besonders Fire at Static Valley oder das Interlude Where We Break How We Shine (Rockets for Mary) könnten locker Outtakes von ihrem Debüt sein und wenn Job's Lament ganz am Anfang fast genauso klingt wie das berüchtigte erste Movement von Storm, kann man definitiv nicht mehr von Zufall sprechen. Godspeed machen hier mit definitiver Absicht ein Album, das auch mal einen Blick in den Rückspiegel wirft. Und auch wenn ich das ein wenig out of character finde, will ich auf keinen Fall sagen, dass ich damit grundsätzlich ein Problem habe. Die ersten beiden Longplayer von Godspeed gehören immerhin beide zu meinen absoluten Lieblingsplatten und an vielen Stellen zeigt die Band, dass sie diese Ästhetik noch immer drauf hat. Natürlich heißt das aber auch, dass man G_d's Pee at State's End! zwangsläufig mit diesen Monumentalwerken vergleicht. Und an dieser Stelle hat das neue Material einfach nicht dieselbe Stärke. Gerade nach dem cineastischen und sinfonischen Luciferian Towers, das die Virtuosität der Formation an neue Grenzen brachte, wirkt sie hier an manchen Stellen etwas stumpf und eingerostet. Auf F# A# ∞ war diese rustikale und etwas drucksige Ästhetik gut, weil Godspeed dabei trotzdem mächtig und unnachgiebig klangen. Hier hingegen paaren sie den etwas ruppigeren Sound mit der luftigen, durchlässigen Produktion des Vorgängers, der vieles ein bisschen unterdrückt wirken lässt. In vielen Momenten bekomme ich den Eindruck, dass alle Instrumente mindestens doppelt so laut gemischt sein sollten und vor allem in den Finalen zeigt sich, wie sehr ihnen das schadet. Die besten Tracks auf G_d's Pee at State's End! sind stets die etwas subtileren und aufbauenden wie Job's Lament oder Fire at Static Valley, die am Anfang der beiden prägenden Movements stehen. Die finalen Momente, die sonst immer die Highlights bei dieser Band waren, versanden indes meistens. Zum einen, weil sie sich klanglich nicht genug vom Rest der Platte abheben und nicht ordentlich ausproduziert sind, zum anderen weil sie kompositorisch recht ereignislos bleiben. Besonders das zwölfminütige Government Came, strukturell der große Orgasmus des Albums, kommt an den entscheidenden Stellen einfach nicht aus dem Quark und dümpelt mit seinen Streicherspitzen zwar irgendwo herum, geht aber nicht wie erwartet durch die Decke. Erst mit dem erlösenden Triple aus Cliffs Gaze, Cliffs Gaze at Empty Waters Rise und Ashes to Sea or Nearer to Thee platzt kurz vor Schluss doch noch der Knoten und man erlebt zumindest ein letztes Hurra, das dieser Band würdig erscheint. Gerade daran merkt man aber auch nochmal, wie dünn die Performance bis zu diesem Punkt verhältnismäßig war. Und ich sage hier bewusst verhältnismäßig, denn wäre das hier von irgendeiner anderen Gruppe gekommen, wäre ich wahrscheinlich trotzdem begeistert gewesen. Als großer Fan von Godspeed You! Black Emperor und jemand, der bis jetzt jedes Album von ihnen super findet, bin ich gezwungenermaßen auch ihr größter Kritiker und nörgle folglich auch an etwas herum, das prinzipiell total in Ordnung ist. Wo diese LP also in Relation zum Rest ihrer Diskografie definitiv zu ihren Schwächemomenten gehört, ist sie in Relation zu jeder Menge anderer Musik immer noch ziemlich on point. Und hey, Luciferian Towers mochte ich ursprünglich auch nicht so wirklich und jetzt gehört es zu meinen Favoriten im Godspeed-Katalog. Das letzte Wort ist also bestimmt noch nicht gesprochen.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
Job's Lament | Fire at Static Valley | Cliffs Gaze / Cliffs Gaze at Empty Waters Rise / Ashes to Seas or Nearer to Thee | Our Side Has to Win (for D.H.)

Nicht mein Fall
GOVERNMENT CAME (9980.0kHz 3617.1kHz 4521.0 kHz)

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