Freitag, 23. April 2021

Frau Zschoche bleibt stur

Haiyti - Mieses Leben HAIYTI
Mieses Leben
Hayati
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ futuristisch | badass | eigenwillig ] 

Es ist echt eine ganze Weile her, dass ich auf diesem Format mal in aller Ausführlichkeit über die Musik von Ronja Zschoche aka Haiyti gesprochen habe und für lange Zeit war das auch gewisser Maßen Absicht. Nachdem spätestens ab Mitte 2017 irgendwie klar war, dass die Hamburgerin nicht die Art Künstlerin ist, die ihr immenses Talent irgendwann auf einem großen Majordebüt bündelt und stattdessen lieber ein windiges Mixtape nach dem anderen auf die Welt loslässt, war ich eine Weile lang ziemlich skeptisch, wo sie diese Herangehensweise langfristig hinbringen würde. Wobei ich vier Jahre später noch immer nicht so richtig sagen kann, dass es irgendwie das eine oder das andere ist. Auf eine strukturelle Weise finde ich es immer noch wahnsinnig schade, dass sie sich für diese Quantität-statt-Qualität-Strategie entschieden hat, die in meinen Augen ihrem Potenzial nicht gerecht wird. Viele ihrer Mixtapes aus den letzten Jahren zeigen ein unfassbares Können und immensen stilistischen Weitblick, sind aber auch immer irgendwie mit der heißen Nadel genäht und sehr durchwachsen, was das Ergebnis angeht. Aus den besten Sachen ihrer drei neuesten Platten könnte man locker ein durchweg geniales Rap-Album zusammenstellen, das im Kontext Deutschrap wirklich einen Unterschied machen würde. So jedoch nagt Haiyti immer nur an der Basis und bleibt in einem nervigen Mittelmäßigkeits-Loop hängen. Zugute muss man ihr dabei aber halten, dass sie für sich einen sehr eigenen Stil entwickelt hat, der sich wirklich vom Gros der Rest-Szene unterscheidet. Stand 2021 ist es praktisch unmöglich, die Hamburgerin mit irgendeinem anderen deutschsprachigen Rap-Act zu vergleichen und selbst international fällt mir spontan niemand so wirklich ein. Was auch zum Teil daran liegt, dass sie sich kreativ in ständiger Metamorphose befindet und auf jedem Song schon drei Schritte weiter denkt als auf dem letzten. Faszinierend ist die künstlerische Figur Haiyti also nach wie vor, für mich persönlich aber auch immer wieder ziemlich frustrierend. Warum also halte ich ausgerechnet bei diesem Album nun inne und gehe aus meiner Beobachtungshaltung wieder in die aktive Besprechung über? Verschiedene Gründe sind dafür letztendlich verantwortlich, vor allem ist Mieses Leben in meinen Augen aber das erste Album seit etwa White Girl mit Luger von 2017, das wirklich für sich interessant ist. Und zwar nicht nur als Übergangspunkt, sondern als geschlossenes Gesamtwerk. Es ist kurz gesagt vielleicht das beste der Hamburgerin seit City Tarif, was effetiv bedeutet, dass sie hier zumindest das Maximum aus ihrer kreativen Husch-Husch-Strategie herausholt. Die vorliegenden 18 Tracks sind damit zwar noch immer sehr skizzenhaft formuliert und wirken unkonzentriert bis fahrig, haben jedoch immerhin einen ungefähren Fokuspunkt und eine gemeinsame klangliche Ästhetik. Produzent Project X übernimmt hier ein weiteres große Teile der Beats, die alle sehr futuristisch und rough klingen. Haiyti selbst perfektioniert dazu weiter ihre eigenwillige Attitüde zwischen atziger Straßenkriegerin, glamouröser Lebedame und arroganter Kunststudentin, die hier endlich mal wieder richtig kickt. Mieses Leben ist dabei wieder mehr rotzige Trap-Platte als artsiger Post-R'n'B, was definitiv hilft, aber auch die lyrische Arbeit hier ist auf einem selten guten Level. Seit langem bin ich hier mal wieder beeindruckt davon, wie die Künstlerin hier mit Sprache spielt und sehr unkonventionelle poetische Ideen in ihren Style einbezieht (Haiyti kann Wörter wie "Verließ" oder "Schlaffitchen" überraschend gangster klingen lassen). Die auffälligen und tollen Momente sind dabei natürlich Banger wie Paris, Was noch oder 50/50, mein persönliches Highlight ist mit dem Closer Wolken aber überraschenderweise eine der wenigen Balladen. Zwischendurch gibt es zwar wieder viele peinliche Augenblicke wie OMG oder Minusmensch, die kurz vom stabilen Fokus ablenken, doch findet die Platte diesen meist recht schnell wieder. Und im Gegensatz zu den letzten paar Haiyti-Alben hält der allgemeine Vibe hier durchweg stand. Sogar die beiden Features sind mit Kaisa Natron auf 8 Stunden Arbeit und Jace (💗) auf 50/50 erstaunlich gut ausgewählt und schaffen beide spannende Ergänzungen zu den jeweiligen Tracks. Aber auch wenn Mieses Leben im allgemeinen ziemlich cool ist und mir wieder einige Hoffnung für diese Künstlerin macht, zeigt es doch vor allem, wie viel Luft noch nach oben ist. Vieles hier fühlt sich gut gemacht und wahnsinnig innovativ an, könnte aber zig mal besser sein, hätte man nur etwas mehr Arbeit reingesteckt. Ein paar Zeilen, die vielleicht noch hätten ausgebessert werden können, mal drei Gesangstakes mehr, an dieser und jener Stelle noch etwas mehr Bums auf dem Beat: Solche Kleinigkeiten würde es in meinen Augen brauchen, um aus diesem okayen Album ein sehr gutes zu machen. Und obwohl ich weiß, dass Haiyti genau diesen Anspruch an ihre Musik nicht hat, kann ich doch nicht anders, als darauf zu beharren, dass er ihr sehr gut zu Gesicht stehen würde. Wenigstens einmal, nur um es auszuprobieren.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Snob | Helikopter | Freitag | Was noch | Paris | 8 Stunden Arbeit | 50/50 | Wolken

Nicht mein Fall
Intro | OMG | Minusmensch

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen