Montag, 19. April 2021

Immer schön episch bleiben

Motorpsycho - Kingdom of OblivionMOTORPSYCHO
Kingdom of Oblivion
Stickman
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ rockig | ausführlich | entspannt ]

Als ich mich vor etwas mehr als fünf Jahren das erste Mal so richtig in Motorpsycho verliebte, war das vor allem deshalb, weil ich so begeistert von der schieren Vielseitigkeit dieser Band war. In der musikalischen Phase, die die Norweger zu diesem Zeitpunkt durchliefen, hatten sie gerade ihr gigantoeskes Jazzprog-Klassik-Orchesterwerk the Death Defying Unicorn hinter sich gebracht, mit Still Life With Eggplant direkt eine ziemlich rockige LP hinterhergeschoben und sich auf Behind the Sun ein bisschen dem sonnigen Prog-Exzess hingegeben. Auf drei aufeinanderfolgenden Alben in drei aufeinanderfolgenden Jahren hatte das Trio also drei ziemlich verschiedene klangliche Ansätze ausprobiert, die alle ganz schön cool waren. Und als ich kurz danach auch noch in die ältere Diskografie der Gruppe einstieg, hob ich noch viel mehr solcher Schätze. Zugegebermaßen war nicht alles darin total super, doch immer mal wieder überrascht zu werden, war für mich der Hauptgrund, überhaupt ein Fan von ihnen zu werden. Und lange funktionierte das für mich auch zur vollsten Zufriedenheit. Selbst der Ausstieg von Ex-Drummer Kenneth Kapstad 2016 und dessen Austausch durch Tomas Järmyr ein halbes Jahr später brachte die Maschine Motorpsycho nicht aus dem Konzept und resultierte nach einem okayen Aufwärm-Release 2017 sehr schnell wieder in guter Musik. Vielleicht sogar ein bisschen zu viel davon, denn als die Band im letzten Herbst nach zwei bereits sehr stattlichen Platten mit the All is One innerhalb kürzester Zeit ein weiteres anderthalbstündiges Opus Magnum auftischen wollte, war es bei mir kurz vorbei. Mein zu dieser LP verfasster Artikel liest sich rückblickend wie ein ziemlicher Rant auf die Übersättigung, die die Norweger in den letzten Jahren zur Normalität gemacht hatten und ist voller ernsthafter Enttäuschung darüber. Und ja, besagtes Album leidet in meinen Augen noch immer unter seinem sinnlosen Gewicht und Größenwahn. Nur sollte man das unter keinen Umständen als prinzipielle Kritik an Motorpsycho verstehen, denn wenn jemand überdimensionierte Prog-Epen kann, dann sind das sie. Und zum Glück erleben wir mit Kingdom of Oblivion mal wieder eine LP, die das ziemlich gut zeigt. Zwar hatte ich nach dem Debakel mit the All is One erstmal einen ziemlichen Kloß im Hals, als hier nach etwas mehr als einem halben Jahr schon wieder 70 Minuten auf der Uhr standen, doch ist hier ein ganz entscheidener Punkt anders: Wo auf dem Vorgänger die viele Zeit mit jeder Menge unnötigem Gewichse gefüllt wurden, haben die Norweger hier einfach genug gutes Material geschrieben, um die Überlänge zu füllen. Da sie wie viele Musiker*innen im Zuge von Corona nicht die Mögichkeit zum touren hatten, exponentierte sich bei ihnen binnen der letzten Monate vermutlich die sonst schon überschäumende kreative Energie, und weil diese Band hier erfahrungsgemäß niemals Leerlauf zulässt, ist die neue Kollektion eben schon jetzt da. Und kompositorisch ist hier auf jeden Fall wieder ordentlich was los. Nach dem sehr schnörkeligen und sinfonischen letzten drei Platten ist Kingdom of Oblivion an vielen Stellen wieder etwas loser, verjammter und vor allem rockiger. Das dominierende Element dieser LP sind eine Reihe dicker Riffs, von denen mitunter gleich mehrere einen Song definieren können. Statt der krampfigen Reißbrett-Energie, die ihre letzte Phase mitunter hatte, hört man dieser Platte an, wie sie aus flockigen Proberaum-Jams entstanden sind und wie viele Lockdown-Projekte der letzten 14 Monate ist auch sie für die Bühnen geschrieben, auf denen sie gerade nicht stattfinden darf. Kreativ gesehen machen Motorpsycho dabei wenig wirklich neues, doch wenigstens spürt man eine Freude am musizieren, die ich zuletzt oft vermisst hatte. Und für seine stattliche Länge ist Kingdom of Oblivion erstaunlich kurzweilig. Ganz aus der Krise heraus sind die Norweger hier aber trotzdem noch nicht. Zugegeben, die neuen Songs machen viele Dinge wieder besser, doch hat sich an der Strategie und am Setting der Band wenig geändert. Ohne Unterbrechung diese wuchtigen Epen zu veröffentlichen mag beeindruckend sein, macht das Besondere aber zur Routine und verwässert die Schlagkraft des einzelnen Gesamtwerks. Und so gut ich das Ergebnis hier auch finde, aktuell habe ich in meiner Erfahrung der Gruppe zum ersten Mal das Gefühl, nicht mehr wirklich gespannt auf individuelle neue Releases zu sein. Auch wenn diese Platte also mal wieder ziemlich gelungen ist, denke ich nicht, dass Motorpsycho ihr grundsätzliches Quantitäts-Problem gelöst haben. Wenn ich mir an diesem Punkt etwas von ihnen wünschen könnte, dann wäre das ein bisschen Bescheidenheit. Kingdom of Oblivion ist in diese Richtung schon ein guter Schritt, doch geht in dieser Hinsicht bestimmt noch mehr. Oder in diesem Zusammenhang vielleicht lieber weniger.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡 08/11

Persönliche Höhepunkte
the Waning Pt. 1 & 2 | Kingdom of Oblivion | Lady May | the United Debased | Dreamkiller | Atet | the Hunt

Nicht mein Fall
the Watcher | the Transmutation of Cosmoctopus Lurker

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