Donnerstag, 10. September 2020

Wir haben es kapiert


[ ambitioniert | retroproggig | routiniert ]

Ich höre die Musik von Motorpsycho inzwischen lange und intensiv genug, um darin gewisse Trends erkennen zu können, wobei eine der wesentlichsten Angewohnheiten der Norweger bereits seit geraumer Zeit die ist, dass sie in sich abwechselnden Perioden von Umbruchs- und Routinephasen bewegen. Auslöser ist dabei meistens eine personelle oder kreative Neuordnung, die frische und experimentelle Strukturen motiviert und die über kurz oder lang meistens in einer kompositorischen Leitidee münden. In diese wird sich in der zweiten Phase dann über mehrere Stationen eingegroovt, bis sie irgendwann nicht mehr wirklich interessant ist und wieder ein konsequenter Tapetenwechsel her muss. Es ist müßig zu sagen, dass es dabei die Umbruchsphasen sind, die in der Diskografie der Gruppe die wirklichen Highlights hervorgebracht haben. 1992 verloren sie fast ihren Plattenvertrag, kurz danach entstand Demon Box. Fünf Jahre später krankte die Band an ihrer entstehenden Popstarwerdung und dem musikalischem Burnout, die folge war Phanerothyme. Ende der Zwotausender warf Langzeit-Drummer Gebhardt das Handtuch, ein paar Jahre später kam Heavy Metal Fruit. Es sind immer wieder krisenbedingte Befreiungsschläge, die diese Band braucht, um aus ihrem hochprofessionellen Uhrwerk-Mechanismus herauszukommen, der ihnen zeitweise zueigen ist. Ich will nicht sagen, dass in der Zeit zwischendurch alles Mist ist, was sie veröffentlichen, doch es ist eben nur noch selten überraschend. Aus den stabilen Phasen des Kollektivs stammen zumindest für mich ihre eher uninteressanten Platten: Angels and Daemons at Play, It's A Love Cult, Let Them Eat Cake. Und leider muss ich sagen, dass sich Motorpsycho aktuell gerade wieder sehr tief in einer solchen Phase befinden, vielleicht sogar in ihrer bisher schlimmsten. Stand 2020 doktern die Norweger nach wie vor an einer Variante des Sounds herum, der zehn Jahre vorher mit dem Einstieg von Kenneth Kapstad einhielt. Und das, obwohl der schon lange wieder durch einen neuen Drummer abgelöst wurde. Zu Anfang war dieser Sound genial und nicht weniger als eine kreative Renaissance für die Band, der nach Heavy Metal Fruit tolle Platten wie Behind the Sun oder the Death Defying Unicorn folgten. Es war ein opulenter Sound, der gemacht war für große Prog- und Psychrock-Opern und mit dem Motorpsycho mehr denn je zum Maximalismus tendierten. Gerade darin lag aber auch das Problem, denn das Limit war mit dieser Herangehensweise sehr schnell erreicht. Schon nach the Death Defying Unicorn, auf dem die Band endgültig überlebensgroß wurde, glaubte ich, dass die Idee ausgereizt war, was zunächst eine krasse Fehleinschätzung war. Aber irgendwann begann die Sache eben doch, Patina anzusetzen. Ungefähr ab Here Be Monsters von 2016 hatte man zur Genüge gehört, wie diese drei Musiker die schweren Gewichte heben konnten und war von den Ergebnissen einfach übersättigt. Motorpsycho waren der FC Bayern geworden, der immer wieder toll und clever war, aber darin auch immer routinierter und vorhersehbarer. Und wenn ich 2020 von einem weiteren 90-Minuten-Epos mit haufenweise intelligenten Prog-Hakenschlägen ernüchtert bin, brauche mich darüber nicht zu wundern. Denn auch wenn die Tricks der Band hier vielleicht nicht die gleichen sind wie beim letzten oder vorletzten Mal, die Handgriffe sind es. Und die wirken mittlerweile so mechanisch und emotionslos wie bei einer K-Pop-Boyband. Wobei es nicht hilft, dass Motorpsycho es uns direkt wieder auf alle erdenklichen Arten besogen müssen. Auf the All is One finden sich alle proggigen Königsdisziplinen, teilweise sogar ineinander verschachtelt. 15-minütiger Longtrack? Check! Fünfteiliger, operatischer Song-Opus? Check! Tausend verjammte Solo-Eskapaden? Aber hallo! Dieses Album ächzt unter seinen Ambitionen. Es ist schon gar nichts besonderes mehr, hier knappe 90 Minuten neue Musik von den Norwegern zu bekommen und die ganzen schönen Kniffe und Motive verkommen auf einem Album wie diesem in den schlimmsten Momenten zu völligem Rauschen. Vor allem die ersten drei Songs klingen für mich mehr oder weniger komplett gleich und auch wenn sich die Band danach zumindest etwas locker macht, verschwindet nie so richtig der olle Mief des Streberhaften und Hochnäsigen, der für diese Jungs ganz nebenbei auch recht neu ist. Klar waren diese Musiker, vor allem die Teamspitze Saether und Snah, schon immer obszön talentiert, aber hatten sie dabei dieses angenehme Zappa-Gen und einen erfrischenden Humor, der sie vom bierernsten Rest der Prog-Community ein bisschen abhob. Auf the All is One ist davon nichts mehr zu spüren, nur noch Pomp und aufgedunsener Pathos. Dabei steckt darin womöglich eine gute Platte, der man nur mal ordentlich das Fett absaugen müsste. Allein das fünfteilige Kernstück N.O.X. kommt auf eine Länge von 42 Minuten, für normalsterbliche Bands hätte das als Album genügt (und hat es ja tatsächlich auch ihn ähnlicher Weise letztes Jahr bei the Crucible, dem wahrscheinlich besten der jüngeren Motorpsycho-Alben). Aber nein, hier muss natürlich noch eine weitere Dreiviertelstunde drumherum genudelt werden, damit es den Größenverhältnissen dieser drei entspricht. Und bei allem gebotenen Respekt und aller Liebe, die ich für diese Gruppe habe, dafür ist mir mein Leben gerade zu kurz. Es wäre etwas anderes, wenn es von ihnen wirklich mal wieder eine große Platte mit Statement gäbe, so wie the Death Defying Unicorn es war, aber das hier ist nur noch Größe um der Größe Willen. Und diese Attitüde ruft bei mir inzwischen nur noch eine Reaktion hervor: Wir haben es geschnallt, das mit der Progoper habt ihr echt drauf. Ihr könnt jetzt langsam aufhören damit. Bitte.


Hat was von
Porcupine Tree
In Absentia

Polis
Weltklang

Persönliche Höhepunkte
N.O.X. I: Circles Around the Sun, Pt. 1 | N.O.X. II: Ouroboros (Strange Loop) | N.O.X. IV: Night of Pan | N.O.X. V: Circles Around the Sun, Pt. 2 | A Little Light

Nicht mein Fall
the All is One | the Same Old Rock (One Must Imagine Sysiphus Happy) | the Magpie

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