Dienstag, 22. September 2020

Löcher im Brett

All Them Witches - Nothing as the Ideal

 
[ groovy | rockig | intelligent ]

Eine Sache, die ich an der Kultur des Stonerrock schon immer ziemlich verachte, ist die Art und Weise, wie die Szene um diese Musik herum oft eine zutiefst konservative und ätzend pragmatische ist. Zumindest ergibt sich dieser Eindruck sehr häufig, wenn man dann und wann mit den Menschen spricht, die diese Szene ausmachen. Die Parameter sind dabei simpel und was als gut befunden wird, hat sich in den letzten 25 Jahren kaum verändert. Wer Punkte bei Hardcore-Fans holen will, klingt am besten auch 2020 immer noch wie eine eineiige Kopie von Kyuss oder Fu Manchu, setzt auf dicke Riffs und bassige Grooves und lässt an diesen kompositorischen Prozess zumeist nur ausgewählte Effektpedale und/oder obszöne Mengen Gras. Ich will an dieser Stelle nicht behaupten, dann nicht auch ich ab und an genau diese Formel sehr ansprechend finde und zahlreiche Lieblingsalben aus diesem spezifischen Bereich sind in den vergangenen Jahren der eindeutige Beweis, nur ist es auffällig, wie wenig experimentelle Energie in gerade in diesem Subgenre existiert, wo seine wesentlichen Akteur*innen doch nicht selten technisch versierte Dauerkiffer sind, die eigentlich dazu prädenstiniert wären, kreative Grenzen zu durchbrechen. Und so kommt es, dass ein Album wie Nothing As the Ideal, dass sich zumindest anmaßt, mit den Grundideen des Stonerrock ein bisschen spielerisch umzugehen, gleich als große Transzendenz-Leistung angesehen wird. Passenderweise waren es in den letzten Tagen keine Stoner-Fans, von denen ich diese Einschätzung hörte, sondern eher Leute wie ich, die von solchen Platten positiv überrascht sind. Ich kann es nur vermuten, aber die puristische Community hasst All Them Witches deswegen vermutlich gerade wie die Pest. Denn genau auf die typischen Parameter, die diese Leute so mögen, verlässt diese Band sich hier nicht. Klar gibt es auch hier noch jene dicken Grooves, die das ganze Projekt stilistisch verorten und definitiv zum Vorteil der meisten Songs funktionieren, doch sind sie weitaus nicht deren einzige Stärke. In vielen Momenten habe ich sogar den Eindruck, dass All Them Witches absichtlich ein bisschen den Fuß vom Gas nehmen und zarter werden, um die Dinge zu zeigen, die sie abseits ihrer Riffs aufgebaut haben. Und da findet sich dann tatsächlich so einiges. Nicht wenige Tracks punkten in den 43 Minuten dieser LP mit starken Melodien, wunderschönen akustischen Passagen, ambitionierten experimentellen Einschüben und Verbindungen zu Folk, Country, Electronica und Noise. Auch sind All Them Witches eine der wenigen Bands in den Gefilden des psychedelischen Rock, die ernsthaft Wert auf gute Texte legt, was von mir definitiv Bonuspunkte gibt. Es sind an sich keine großen Höhenflüge, die hier gemacht werden und würde diese Gruppe Indierock oder Hiphop machen, würde man das Fehlen gewisser Parameter als Mangelerscheinung deuten, hier jedoch machen sie das ganze irgendwie besonders. Und es ist ernstlich schön, das alles mal zu erleben. Denn klar wäre diese LP auch dann okay und hörenswert, wenn All Them Witches Dienst nach Vorschrift gemacht hätten und das hier einfach ein gutes Brett wäre. Aber nein, dieses Album geht das Risiko ein, auf die Details zu achten. Es steckt seine Aufmerksamkeit nicht in einen plumpen Makrokosmos, sondern in minutiöse Zwischentöne und erfrischende Verspieltheit. Die packt zugegebenermaßen nicht ganz direkt wie ein guter Banger und einige der hier anberaumten Experimente funktionieren eher holprig, doch ist es die Motivation, es überhaupt zu tun, die mich irgendwie begeistert. Und es zeigt einmal mehr, dass es nicht unmöglich ist, Stonerrock zu diversifizieren. Es braucht nur jemanden, der sich traut, auch mal leise zu sein und im ersten Moment für Verwirrung zu sorgen. Ich hoffe, All Them Witches nehmen diese Verantwortung auch in Zukunft wahr.


Hat was von
Kadavar
Kadavar

Long Distance Calling
the Flood Inside

Persönliche Höhepunkte
Saturnine & Iron Jaw | Everest | See You Next Fall | 41 | Rats in Ruin

Nicht mein Fall
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