Sonntag, 20. September 2020

Tendenz steigend

 

Bill Callahan - Gold Record

 
[ erzählerisch | langsam | monoton ]

Es ist eine wilde Achterbahnfahrt von Eindrücken, die der Songwriter Bill Callahan bei mir hinterlassen hat, seit ich ihn vor circa neun Jahren das erste Mal hörte. Und wenn es um die Erwartungen geht, die ich an seine Musik habe, kann ich nach all dieser Zeit noch immer keine endgültige Aussage treffen. Es gibt Platten von ihm, die zu den schlimmsten Sachen zählen, die ich in meinem ganzen bisherigen Leben gehört habe (kein Scheiß!) und die mir regelmäßig das künstlerische Prinzip dieses Typen madig machen, andere wiederum finde ich ernsthaft inspirierend. Und obgleich die letzte Dekade in der Karriere des Texaners ein relativ kleines Zeitfenster darstellt, ist dieses doch zumindest für mich recht polarisierend gewesen. Wobei die Formkurve anhand dieser neuesten LP in meinen Augen eine weitere scharfe Kurve nimmt, indem er hier eines seiner besten Alben direkt auf einen absoluten Totalausfall folgen lässt. Über Shepherd in A Sheepskin Vest, besagte Katastrophe von letzter Saison, möchte ich an dieser Stelle nicht reden, nur soviel sei gesagt: Es ist ziemlicher Kram. Was mich ob einer neuen Platte in so kurzer Zeit natürlich extra misstrauisch machte. Und wiederum überrascht, als ich feststellte, dass die Sache mit Gold Record nicht nur glimpflich ausgeganen war, sondern nicht weniger als die gelungenste LP, die ich von Callahan überhaupt je gehört hatte. Das an sich bedeutet nichts großes, denn so viele kenne ich wie gesagt nicht, aber nicht nur in relativen Bezügen ist das hier ein Aha-Erlebnis, sondern auch von seiner Diskografie losgelöst. Soll heißen, das hier ist mit ziemlicher Sicherheit eines der spannenderen Singer-Songwriter-Alben dieser Saison. Wobei an dieser Stelle vielleicht nochmal kurz erläutert werden sollte, wo dieser Bill Callahan musikalisch steht und wie wichtig sein gesamter Output pophistorisch ist. Gemeinsam mit Leuten wie Jim O'Rourke und Daniel Johnston gehört er zu den prägenden frühen Figuren des LoFi-Folk in den Achtzigern und frühen Neunzigern und hat sich aus dieser Bubble heraus einen ziemlich individuellen, gerne etwas schrägen Stil angeeignet. Besonders auf den Alben, die er seit 2007 unter seinem eigenen Namen veröffentlicht, hat sich ein Verständnis von Minimalismus durchgesetzt, das nicht selten zur Skurrilität neigt. Instrumentierung ohne viel Kokolores, sehr direkte und häufig erzählerische Lyrics sowie eine Kompositorik die nicht selten die Grenze der Monotonie überschreitet. Und wo es so einige Platten gibt, auf denen sich dieses Konzept als furchtbare Idee herausgestellt hat, funktioniert es hier doch einmal mehr ziemlich gut. So gut, dass es fast egal ist, worüber Callahan schreibt. Im Opener Pigeons erzählt er eine Art Anekdote aus Sicht eines Limousinenfahrers bei Hochzeiten, Cowboy und Let's Move to the Country handeln vom verklärten Landleben, Protest Song ist - wie der Name vielleicht suggieriert - eine Art Meta-Protestsong und in Breakfast geht es einfach mal darum, was für eine Freude ein gutes Frühstück ist. Viel erzählerisches Hexenwerk ist dabei meistens nicht dahinter und anders als ein Phil Elverum muss Callahan nicht ständig eine größere Geschichte erzählen, um die Wertigkeit eines Songs zu finden. Er ist sich auch nicht zu schade, ab und zu ein paar sehr billige Lines zu bringen (Ry Cooder sollte dafür als Beweisstück reichen) und einen sehr klobigen Humor zur Schau zu stellen. Und wo ich bisher häufig nur feststellen konnte, wie diese Parameter zu seinem Nachteil funktionierten, haut hier einmal alles irgendwie hin. Zwar ist auch Gold Record kein besonders actionreiches Album, doch ist es in vielen Dingen zumindest sehr würdevoll, was Callahan bisher doch eher selten war. Damit ist es keinesfalls das erste, doch irgendwie schon das vollkommenste und ähnlich wie bei den Mountain Goats im letzten Jahr endlich eine LP, die mich voll und ganz von einem Act überzeugt, den viele andere schon seit Jahren abfeiern. Nicht, dass ich es bei diesem Typen gebraucht hätte, aber schön ist es trotzdem. Mal schauen, ob es vielleicht sogar ein bisschen anhält.


Hat was von
Damien Jurado
the Horizon Just Laughed

the Wave Pictures
If You Leave It Alone

Persönliche Höhepunkte
Pigeons | Another Song | 35 | the Mackenzies | Let's Move to the Country | Breakfast | As I Wander

Nicht mein Fall
-

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