Freitag, 2. April 2021

Ich und mein Holz

SERPENTWITHFEET
Deacon
Secretly Canadian
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ seicht | romantisch | ätherisch ] 

Dafür, dass ich mir hier im Normalfall recht wenig aus zeitgenössischem R'n'B und der großen Post-Frank Ocean-Welle mache, war Josiah Wise in den letzten Jahren ein ziemlicher Fokuspunkt für dieses Format. Nachdem er 2018 mit Soil eines der wenigen Debüts aus diesem Bereich droppte, in dem ich wirklich großes Potenzial und viel künstlerische Begabung sah, war der Musiker aus Baltimore einer dieser selten vorkommenden heißen jungen Acts, von dem ich möglichst schnell möglichst viel neues Material hören wollte. Dass in dieser Hinsicht seitdem ziemlich wenig passiert ist, war folglich auch ziemlich frustrierend. Bis auf die unscheinbare Drei-Song-EP Apparition und einige wenige Features bei anderen Leuten (darunter angeblich eines auf Kanye Wests geisterhafter Schubladen-LP Yandhi) blieb es verdächtig still um den Songwriter. Eine Stille, die bei mir Mutmaßungen über den eventuellen Nachfolger aufkommen ließen, der Deacon nun endlich geworden ist. Anhand der unglaublichen Kreativität, die Soil in vielen Momenten andeutete, war ich dazu hingerissen, viel zu erwarten. Ein großes Album, mit dem Wise die schon immer ziemlich lose Zuordnung des R'n'B endgültig von sich lösen und zu einem richtig tolles Kunstprojekt transformieren würde. Ja nun. In der ernüchternden Realität ist LP Nummer Zwei von Serpentwithfeet in so ziemlich allen Hinsichten das Gegenteil davon geworden. Mit gerade mal 29 Minuten ist das vorliegende Material kaum der Bezeichung "Longplayer" würdig und statt Genregrenzen zu transzendieren, kann man hier zum ersten Mal sehr eindeutig die Bezeichnung R'n'B anwenden. Zwar ist darin noch immer ein starker Artpop- und Gospel-Touch vorhanden und nach wie vor erinnert mich Wise ein bisschen an eine urbane Version von Sufjan Stevens, doch ist die Ausgestaltung und Komposition hier nicht mehr halb so bunt und überraschend wie auf dem Debüt. Diese Sachen wären an sich kein Problem, wenn dafür die Songs stimmen würden und die Platte ein stringentes Konzept parat hätte. Was ja auch nicht wirklich abwegig wäre, anhand der guten Erfahrungen, die ich mit seinen kompositorischen Fähigkeiten sowohl auf Soil als auch auf Apparition gemacht habe. Nur schafft es Serpentwithfeet stattdessen irgendwie, gleichzeitig sehr langweilig und auf ungute Weise weird zu sein. Kompositorisch tappt er damit in die gleiche Falle, in der viele seiner Artverwandten schon liegen: Im Versuch, leichte und ätherische Vibes zu erschaffen, vergisst dieses Album die Dynamik und Substanz in der Komposition und trödelt so nur ziellos vor sich hin. Hyacinth hat als Opener noch eine gewisse Prägnanz und auch Fellowship am Ende ist in Ordnung, doch alles zwischendrin sackt ziemlich erbärmlich ab. Wo Verseichtung und ätherische Schnarch-Vibes aber irgendwie bekannte Probleme unter seinesgleichen und somit irgendwie ahnbar sind, sind es die Lyrics, die mich hier ernsthaft verwundern. Schon auf Soil waren Wises Texte etwas gewöhnungsbedürftig und bedienten sich einem recht klobigen Verständnis von Poesie, hier möchte dieses aber anscheinend nochmal richig seine Grenzen austesten. Denn hier wird es nicht selten ziemlich wüst und skurril. Viele Songs hier sind als romantische Schlafzimmerjams angedacht, denen in meinen Augen aber jegliche Erotik abgeht und die meistens einfach nur ulkig sind. Wenn es in Derrick's Beard einen ganzen Song lang mehr oder weniger tatsächlich um einen (anscheinend ganz besonderen) Bart geht, in Wood Boy die Sehnsucht nach dem Liebenden mit einem profanen Stück Holz gleichgesetzt wird (ich verstehe durchaus die Metapher, aber das ist Mickie Krause-Niveau!) und am Ende von Same Size Shoe diese dämlichen Trompeten-Scats sein müssen, ist das schon eher peinlich als poetisch. Ich weigere mich auch dagegen, solche Lyrics irgendwie als kunstig oder 'herausfordernd' anzuerkennen, dafür sind sie an vielen Stellen zu plump. Und gerade weil das hier ein sinnliches und körperliches Album sein soll, kann ich sowas nicht gutheißen. Die Sanftheit, die Serpentwithfeet hier in der Musik an den Tag legt, fehlt in so gut wie jedem Moment in seinen Texten und andersherum. Was Deacon insgesamt nicht nur zu einem relativ schwächeren Album als Soil macht, sondern ganz generell zu einem mittelschweren stilistischen Fehltritt. Für einen Künstler, der auf seinem letzten Projekt so ein Feingeist und Virtuose war, ist das hier ein krass verstolpertes Stück Musik, das viele Fragen bei mir aufkommen lässt und böses ahnen lässt. Ich werde ob dieser Platte sicherlich nicht gleich alle Hoffnung fahren lassen, die ich in diesem Typen gesetzt habe und Talent hat er ja nach wie vor, doch ist das hier nicht einfach ein kleines Formtief. Das hier ist gleich nach dem Debüt ein ordentlich steiler Fall, der sicherlich einen sauren Geschmack hinterlassen hat. Und mein Vertrauen wird Serpentwithfeet jetzt erstmal zurückgewinnen müssen.
 
🔴🔴🔴🟠⚫⚫⚫⚫ 04/11

Persönliche Höhepunkte
Hyacinth | Fellowship
 
Nicht mein Fall
Wood Boy | Derrick's Beard
 

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