Mittwoch, 10. Mai 2017

Sonnenstrahlen auf der Haut

Nach ein paar technischen Unwägbarkeiten in den letzten Tagen kann ich heute endlich wieder über neue Musik schreiben und gerade die letzte Woche ist daran ja nicht zu kurz gekommen. Nachdem am gleichen Tag bereits At the Drive-In eine lange Schaffenspause von immerhin 17 Jahren beendeten, waren es bei den Briten von Slowdive ganze 22. Und weil sie deshalb vielleicht die wenigsten von euch kennen, ist an dieser Stelle vielleicht eine kleine Einführung angebracht: Das Trio aus Reading gilt als eines der Vorzeigeprojekte der ersten richtig großen Shoegaze-Welle Anfang der Neunziger, als man mit solcher Musik noch zum Popstar werden konnte. Gemeinsam mit Bands wie Ride, Swervedriver und natürlich My Bloddy Valentine prägten sie die Blaupause des ätherischen, psychedelischen Noise-Sounds, der Mitte der Achtziger von the Jesus & Mary Chain und den Cocteau Twins skizziert wurde. Das 1993 veröffentlichte Souvlaki gehört mittlerweile zum klassischen Albumkanon vieler Shoegaze-Fans und ist auch definitiv eine Hörerfahrung wert. Aber was bedeutet das 25 Jahre danach noch? Ich habe ganz ehrlich den Eindruck, dass eine Slowdive-Reunion mittlerweile eigentlich keiner mehr braucht. Die alten Platten sind gut so, wie sie sind und alle drei Mitglieder der Formation stehen inzwischen ziemlich erfolgreich auf eigenen Beinen. Wirklich notwendig ist diese LP also nicht. Allerdings gab es Anfang Januar die erste Single Star Roving und diese machte mir klar, dass ich diese LP trotzdem unbedingt wollte. Denn so dermaßen nahtlos, wie die Briten hier an ihren Neunziger-Output anschlossen, musste man einfach baff sein. Der sechsminütige Song schuf exakt wieder die Atmosphäre, mit der Slowdive auch schon vor 25 Jahren so begeistert hatten und klang trotzdem kein bisschen gealtert. Noch immer bin ich jedes mal geflasht, wenn ich das Ding höre und auch auf dem fertigen Album bleibt es das unbestreitbare Highlight. Der Rest der Platte kann da zwar nicht ganz mithalten, verstecken muss er sich aber auch nicht. Von hübschen Pop-Melodien (Sugar for the Pill) über an Kate Bush erinnernde New Wave-Anleihen (Slomo) und Klavierballaden (Falling Ashes) bishin zu Reverb-Monstern (Everyone Knows) ist hier jede Menge dabei und in dem 46 Minuten Spielzeit wird einem trotz des sehr milden und warmen Sounds nicht langweilig. Im Gegenteil: Gerade die sehr klare und offene Produktion machen die Platte zu dem sommerlichen Indiepop-Erlebnis, das ich mir so ein bisschen erhofft hatte. An manchen Stellen verfällt die Band zwar in einen etwas the-XX-artigen Schlafwandel, dem sie aber jedes Mal, wenn es schlimm zu werden droht, durch einen beherzten Tritt aufs Effektpedal Einhalt gebieten. Wer hier große stilistische Herausforderungen oder neue Horizonte sucht, wird vielleicht nicht unbedingt fündig werden, dafür gibt es aber jede Menge richtig gute Songs. Slowdive klingen hier keinen Deut schlechter als vor einem Vierteljahrhndert und haben immer noch das Zeug, absolut jeden zum Shoegaze-Fan zu machen. Wer schon einer ist, sollte dieses Album trotzdem umso mehr anhören. Es dürfte eigentlich jeden glücklich machen, der auf gute Gitarrenmusik steht. Und mich macht es glücklich, weil ich jetzt vielleicht so ein bisschen erlebe, wie sich das alles 1993 angefühlt haben muss.





Persönliche Highlights: Slomo / Star Roving / Sugar for the Pill / Everyone Knows / Falling Ashes

Nicht mein Fall: No Longer Making Time

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