Freitag, 12. Mai 2017

Das literarische Duett

Es läuft schon wieder bei Mark Kozelek. Es ist gerade mal Anfang Mai und der Songwriter veröffentlicht jetzt schon sein drittes Album dieses Jahr. Nachdem im Februar das lang erwartete neue Sun Kil Moon-Projekt erschien, schob er vor ein paar Wochen noch eher beiläufig ein weiteres Soloprojekt hinterher und letzten Freitag ging es mit 30 Seconds to the Decline of Planet Earth schon wieder weiter. Diese letzte Tatsache ist allerdings durchaus nicht nur eine Fußnote, da Kozelek hier seine Zusammenarbeit mit Jesu-Mastermind Justin Broadrick fortsetzt. Schon deren erstes gemeinsames Projekt vom Frühjahr 2016 war eine spannende Angelegenheit, obgleich ich es nicht besonders mochte. Kollaborationen sind in der bisherigen Diskografie von Sun Kil Moon keine Ausnahme, bereits in der Vergangenheit erschienen beispielsweise Platten mit the Album Leaf oder Desertshore. Was allerdings neu ist, ist die Wiederholung einer solchen Arbeit. Und obwohl die LP vom letzten Jahr nicht mein Fall war, empfinde ich Broadrick als genau den richtigen Partner, um genau das zu tun. Zum ersten, da dieser mit Kozelek scheinbar schon seit längerem befreundet ist und die beiden sich künstlerisch gegenseitig sehr gut befruchten. Zum anderen, weil ihr Output zumindest immer für Diskussionspotenzial sorgt und man sich gerne damit befasst. Selbst wenn man es am Ende scheiße findet. Und mit dieser zweiten Platte scheint die Partnerschaft nun nur noch besser zu funktionieren. Sicher, nachdem man einmal gehört hat, zu was diese zwei Parteien fähig sind, ist der Überraschungseffekt nicht mehr so präsent und man kann sich besser mit dem wesentlichen auseinandersetzen. Doch ich glaube, Broadrick und Kozelek sind hier auch tatsächlich aneinander gewachsen. Denn 30 Seconds... ist nicht mehr nur die gleichberechtigte Symbiose zweier einzigartiger Stile, sondern wirklich etwas ziemlich neues, das aus dem kreativen Potenzial der Zusammenarbeit entstanden ist. Natürlich erkennt man dabei das typische Songwriting und gesangliche Lamento von Sun Kil Moon und die ätherischen Ambient-Flächen von Jesu, doch sie gehen hier mehr und mehr aufeinander zu. So entstehen hier auch wesentlich stärkere Songs als auf dem Debüt, die nicht nur eine Seite der Kollaboration herauskehren, sondern die Arbeit beider Künstler zeigen. Auf der einen Seite werden Kozeleks wie immer umfangreiche und detaillierte Stories durch einen spannungsvollen, harmonisierenden Sound präsentiert, der diesmal auch wirklich passt. Auf der anderen schafft Jesu eben nicht nur Untermalung, sondern selbstständige Musik, die einen Großteil des Gesamteindrucks ausmacht. Broadwick ist auch der erste, der es in meinen Augen schafft, Sun Kil Moon mit elektronischer Instrumentation zu versöhnen, daran sind in der Vergangenheit schon ganz andere gescheitert. In the Greatest Conversation Ever in the History of the Universe beispielsweise gibt es diesen schicken, von Kraftwerks Europa Endlos geklauten Beat, von dem man erstmal überhaupt nicht denken würde, dass er mit Kozeleks Stimme funktioniert. Aber seltsamerweise findet genau das statt und man vermisst überhaupt nichts. Im 17-minütigen Monsterstück Wheat Bread wiederum passiert es andersherum: Jesus ambientes Instrumental ist eher monoton, aber die wahnsinnig komplexe und fesselnde Geschichte, die hier erzählt wird, gleicht diese Wirkung ziemlich gut aus. Eine ziemliche Überraschung war es für mich, den bereits 2016 veröffentlichten Michael Jackson-Diss He's Bad hier in der Tracklist zu finden, doch auch er passt erstaunlich gut in den Kontext des Albums. Der gelungene rote Faden ist überhaupt der größte Vorteil, den 30 Seconds... gegenüber seinem Vorgänger hat. Aber Nachteile gibt es natürlich auch ein paar. Der sicherlich größte ist, dass diese Platte im Prinzip nichts weiteres ist als ein weiteres As Common As Light and Love Are Red Valleys of Blood ist. Das musikalische Konzept hier ist dem des letzten Sun Kil Moon-Projektes sehr ähnlich und auch hier nutzt Kozelek den Großteil der inhaltlichen Ebene, um sich über Gott und die Welt aufzuregen und blöde Witze zu machen. Vielleicht ist das hier in bestimmten Punkten das bessere Album von beidem, aber in den meisten sind die Platten in Grunde ziemlich deckungsgleich. Wer Common As Light... also mochte, könnte hier zweierlei Erfahrung haben: Er könnte sich freuen, dass es dasselbe Projekt jetzt nochmal gibt, oder er könnte es überflüssig finden. Ich persönlich befinde mich irgendwo dazwischen, was vermutlich nur daran liegt, dass 30 Seconds... mir ein wenig sympathischer ist. Am Ende sind aber trotzdem beide Alben ziemlich gut und zeigen, dass Sun Kil Moon dieses Jahr echt zu Hochform aufläuft. Der Amerikaner macht 2017 in meinen Augen die beste Musik, die er seit Benji gemacht hat und bei seinem Output ist das schon eine Errungenschaft. Und das, obwohl wir gerade Mal Anfang Mai haben...





Persönliche Highlights: You Are Me & I Am You / Wheat Bread / Needles Disney / He's Bad / Bombs / Twenty Something / A Dream of Winter

Nicht mein Fall: Hello Chicago

CWTE auf Facebook

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen