Samstag, 31. Juli 2021

Rich Against the Machine

Willow - Lately I Feel EverythingWILLOW
LATELY I FEEL EVERYTHING
Roc Nation
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ adoleszent | angstig | eingeschnappt ]

Natürlich hat es ein bisschen etwas lachhaftes, wenn ausgerechnet Willow Smith, die wie wenige Künstler*innen ihrer Generation die Aura eines angeborenen goldenen Löffels mit sich trägt, hier den Entschluss fasst, eine Emorock-Platte aufzunehmen. Eine Platte, auf der sie 26 Minuten lang darüber singt, wie unfair die Welt ihr gegenüber ist und wie schwer sie zu leiden hat. Sicher, auch sie hatte insofern bestimmt keine leichte Kindheit, als dass sie quasi seit ihrer Geburt eine Person des öffentlichen Lebens ist und stellenweise geht es hier auch um Probleme in Beziehungen und den Struggle des Älterwerdens, den wahrscheinlich jeder Mensch in ihrem Alter teilt. Doch kommt man einfach nicht umhin, an irgendeinem Punkt dieses Albums den Gedanken zu denken, dass Willow Smith ja eigentlich die letzte ist, die sich irgendwie beschweren kann. Und neu ist dieser Gedanke ja auch keineswegs. Sowohl in ihrem eigenen früheren Output als auch in dem ihres Bruders Jaden (der in seinen Songs ja auch durchaus zu jammerigen Narrativen neigt) erwische ich mich immer wieder dabei, die glamouröse Ausgangsposition der KünstlerInnen sehr wichtig zu nehmen. Und an und für sich fand ich das bisher auch immer eine relevante Eigenschaft, die im Kontext zur Musik viel aussagte. Was sich auf Lately I Feel Everything aber erstmals ändert, da Willow hier als erstes Smith-Kind das Kunststück fertig bringt, ihre Musik von alledem unabhängig zu machen und einfach gute Songs zu schreiben. Klar hat man am Anfang noch die eben angesprochenen Hintergedanken bezüglich ihres Kinderstar-Daseins, des langens Schatten von Papa Will auf ihrer Karriere oder ihres nicht weniger bekannten Bruders, die man die letzten Jahre immer hatte. Doch schafft es dieses Album in seinen 26 Minuten sehr erfolgreich, diese Gedanken dadurch zu zerstreuen, indem es konsequent für sich selbst spricht. Und wenn man mich fragt, dann wird das auch Zeit. Lately I Feel Everything ist nun inzwischen das vierte Album der Zwanzigjährigen, und bis dato hatte die Beschäftigung vieler Leute mit ihr eher wenig mit Musik zu tun. Dass das diesmal anders ist, hat sicherlich vor allem damit zu tun, wie clever Willow hier einen Stilbruch inszeniert, doch ist das musikalisch keinesfalls alles. Denn hinter der angstigen Pose und dem edgy Drumherum, das die Kalifornierin hier aufbaut, stecken in vielen Momenten tatsächlich echt starke Songs. Neu ist das nicht wirklich, schon auf früheren Platten strahlte hier und da jede Menge kompositorisches Potenzial durch und im Gegensatz zu ihrem leider völlig talentfreien Bruder sehe ich bei ihr ein grundsätzliches künstlerisches Gespür, das eben nur richtig verwoben werden musste. Lately I Feel Everything ist nun das Album, das genau das hinkriegt. Was Willow in dieser knappen halben Stunde an Material zusammenbringt, fühlt sich nicht nur an wie ein vollwertiger Longplayer, sondern hat auch viele interessante und kreative Spitzen. Da gibt es die abgebrühte Leadsingle t r a n s p a r e n t s o u l, mit der gleich zu Anfang die schönsten Emorock-Klischees angespielt werden, das düstere XTRA mit dem coolen Gastpart von Tierra Whack, der Schulterschluss mit Kindheitsheldin Avril Lavigne auf G R O W oder auch das etwas dämliche, aber durchaus amüsante Interlude F**K You ziemlich zu Beginn. Dass Willow dabei lyrisch gerne etwas melodramatisch auf dem Putz haut und auch mal grobe Plattitüden bemüht, passt dabei irgendwie sogar zur musikalischen Ausgestaltung und die Botschaften über mentale Selbstbestimmung, emotionales Wachstum und das Anerkennen eigener Schwächen sind so oder so wertvoll. Zwar würde ich weiten Abstand davon nehmen, dieses Album als ernsthaft 'rebellisch' oder 'unkonventionell' zu bezeichnen, da sich Willow am Ende doch sehr in den Grenzen gängiger Trends bewegt, doch kann man zumindest nicht sagen, dass sie dabei einfach Dienst nach Vorschrift macht. Vergleicht man das hier zum Beispiel mit einem sehr ähnlich angedachten Stilbruch vom letzten Jahr, Tickets to My Downfall von Machine Gun Kelly, ist Lately I Feel Everything mit weitem Abstand die kreativere, mutigere und spannendere Platte. Und das, obwohl Willow Smith gute zehn Jahre jünger als MGK ist und nur auf zwei Songs Travis Barker als Kreativpartner bemühen muss. Wenn es also einen Moment gibt, an dem der Kinderstar Willow Smith zur ernstzunehmenden Pop-Künstlerin Willow Smith werden könnte, dann ist das in meinen Augen am ehesten diese LP hier. Und ich schreibe das mit der großen Hoffnung, dass selbige nicht nur eine flüchtige Schnapsidee war.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
t r a n s p a r e n t s o u l | F**K You | Gaslight | Don't Save Me | naïve | Come Home | 4ever | XTRA | G R O W | ¡BREAKOUT!

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Machine Gun Kelly
Tickets to My Downfall

Avril Lavigne
Let Go


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