Montag, 12. Juli 2021

Teure Seelen

Amenra - De doorn AMENRA
De Doorn
Relapse
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ finster | atmosphärisch | alptraumhaft ]

Für Liebhaber*innen düster-atmosphärischer Metalmusik wie ich einer bin, steht es schon seit langer Zeit völlig außer Frage, dass Amenra im neuen Jahrtausend wahrscheinlich eine der wichtigsten Szene-Bands ganz Europas - wenn nicht gar international - sind. Und das aus mannigfaltigen Gründen. Da ist zum einen der klangliche Fußabdruck, den sie mit ihrer zeitlupigen Version von Sludge- und Post-Metal in der grauen Zwischenwelt von Posthardcore, Black Metal, Doom und Avantgarde hinterlassen haben und den mittlerweile haufenweise andere Gruppen ständig weiterentwickeln. Zum anderen sind sie vor allem in der lokalen Untergrund-Bubble ihrer Heimat Gent sowas wie die Paten einer kleinen Subkultur geworden, die in Form der Church of Ra eine ganze Familie von Gruppen mit ähnlicher klanglicher und ideeller Ausrichtung beherbergt. Und obwohl ich sie selbst dabei bisher eher als wichtige Impulsgeber schätzte, die das Handwerk vormachten, das später Bands wie Oathbreaker oder Wiegedood perfektionierten, ist es mir doch stets wichtig, sie hier zu thematisieren. Zumal sie mit De Doorn vielleicht zum ersten Mal ein Album gemacht haben, das aus der Rolle der geistigen Vorbereiter ausbrechen kann und auch als einzelnes Gesamtwerk richtig genial ist. Wobei das in meinen Augen eh bloß eine Frage der Zeit war, denn auch wenn diese LP vieles besser macht als ihre Vorgänger, funktioniert sie doch stilistisch nach einem ähnlichen Prinzip. Die Basis stellen eine Reihe mächtiger und kaskadischer Riffs, die irgendwo zwischen atmosphärischem Black Metal, verspieltem Doom und schwerfälligem Postrock changieren, dazu werden starke dynamische Kontraste geschalten, um das ganze nicht zu monoton klingen zu lassen. Einigermaßen neu ist, dass es auf De Doorn zusätzlich zu den üblichen Screamo-Passagen vor allem viel gesprochenes Wort und gesungene Lyrik gibt, die manchmal fast ein bisschen kunstig-avantgardistisch wirken. Abgesehen davon ist das hier aber Material aus den schwärzesten Tiefen des Church of Ra-Lehrbuchs für ätherisch-nihilistischen Post Metal. Und wirklich viel besonderes lässt sich daran auch in den Details nicht herausfischen. Abgesehen vom ziemlich coolen Intro des Openers Ogentroost, den zagfaht ambienten Passagen von De Dood in Bloei oder einem wahnsinnig gut gespielten und produzierten Bass in Het Gloren ist das meiste hier mal wieder vor allem dadurch gut, dass es eine monolithische Masse ist, die über die Hörenden herfällt wie eine Heuschreckenplage in Zeitlupe. Feingeister sind Amenra auf auf dieser LP nicht wirklich geworden, allerdings auch nicht mehr ganz so grobmotorisch wie früher manchmal. Wo ihre Songs da mitunter ziemlich klumpig und undurchschaubar waren, sind sie hier zwar immer noch monumental, aber mit ein paar netten kleinen Momenten zwischendrin. Und neben den kleinen Finessen, die im Songwriting ab und zu auftauchen, merkt man das vor allem in der Produktion, die seit dem letzten Mal erheblich besser geworden ist. Wo ihre letzte Platte Mass VI von 2017 noch ein bisschen zu sehr nach uriger Proberaum-Mische klang, haben sie sich hier an ihren Kolleg*innen ein Beispiel genommen und wirklich mal ein bisschen Politur aufgefahren. Mit dem Ergebnis, dass die Nuancen ihres Spiels und ihrer Kompositorik nochmal besser zum Vorschein kommen. Wenn in den Vocals von Het Gloren teilweise auf Sachen wie Raumklang geachtet wurde oder man einzelne Instrumente wirklich mal heraushört, ist das einfach ein unglaublicher Qualitätsgewinn. Und weil die Frage ob dieser Parameter für einige Church of Ra-Freaks vielleicht nahe liegt: Mit einem Verrat an der Szene hat das alles kein bisschen was zu tun. Obwohl De Doorn im Katalog von Amenra ein bewusster Bruch ist, zum ersten Mal einen echten Albumtitel hat und nicht beim Heimlabel COR, sondern beim Genre-Giganten Relapse erscheint, muss man sagen, dass die Belgier ganz klar das beste daraus gemacht haben. Die wenigen Veränderungen, die sie hier klangästhetisch vornehmen, funktionieren zum besten des Gesamtergebnisses und in den wesentlichen Punkten ihres Sounds bleiben sie sie selbst. Ihre Integrität und DIY-Attitüde haben sie hier vielleicht ein Stückweit aufgegeben, aber mit dem bestmöglichen Resultat. Nämlich dass ich sie jetzt nicht nur als Impulsgeber, sondern auch als Künstler richtig abfeiern kann. Und was sie Szene selbst angeht, ist die inzwischen eh schon so groß geworden, dass sie als geistige Väter nicht mehr gebraucht werden und ich es ihnen gönne, dass sie nach über zwei Dekaden DIY jetzt doch noch die Kuh schlachten und finanziell hoffentlich ordentlich was dabei rausholen. Verdient haben sie es sich nämlich definitiv.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Ogentroost | De Dood in Bloei | Het Gloren | Voor Immer

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Der Weg einer Freiheit
Finisterre

Downfall of Gaia
Ethic of Radical Finitude


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