Freitag, 30. Juli 2021

Der DJ ist tot. Es lebe der DJ.

U-Roy - Solid GoldU-ROY
Solid Gold
BMG
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ prominent | anthologisch | ehrwürdig | eingängig ]

Am 17. Februar dieses Jahres verstarb in Kingston nach längerer Krankheit mit 79 Jahren der Reggaemusiker Ewart Beckford alias U-Roy, wovon die meisten Leute außerhalb der unmittelbaren Szene - inklusive mir selbst - eher wenig Notiz nahmen. Und wo man solche verhaltenen Reaktionen gegenüber Traditions-Künstler*innen aus Jamaika (von denen in den letzten Jahren leider schon einige abgetreten sind) irgendwie kennt, hätte man bei diesem besonderen Charakter vielleicht erwarten können, dass sein Tod ein paar höhere Wellen schlägt. Schließlich ist er als Wegbereiter für das Selbstverständnis der modernen Popmusik doch nicht ganz unwesentlich. Gemeinsam mit der ewigen Dub-Legende King Tubby, in dessen Soundsystem er seit den Sechzigern tätig war, gilt er als einer der Pioniere sowohl ursprünglicher Deejaying-Techniken als auch des sogenannten Toastings, einer im Reggae üblichen Form des Sprechgesang und Vorform des Rap, was ihn ziemlich unumstritten zu einem direkten Urahnen der gesamten musikalischen Idee von Hiphop und damit zu einem der vielleicht einflussreichsten Musiker der letzten 70 Jahre macht. Zwar war er das anders als King Tubby voerdergründig in einem Live-Kontext und eher weniger auf Platte - weshalb von ihm nie ein wirklich bestimmendes oder Szene-relevantes Album erschien, doch finde ich es trotzdem schade, wie er in diesem Frühjahr doch so sang- und klanglos dahinschied. Eine LP wie Solid Gold zu besprechen, sehe ich deshalb quasi schon als heilige Pflicht im Sinne eines Andenkens an ihn. Dass sie eines der besten Reggae-Alben ist, die ich in den letzten Jahren gehört habe, ist aber letztendlich der Hauptgrund. Denn wenn diese zwölf Tracks eines ganz wunderbar zeigen, dann eine gemeinsam empfundene Leidenschaft für das Erbe von U-Roy und im weiteren Sinne für das Medium Reggae an sich. Und in vielerlei Hinsicht hat das hier auch etwas sehr definitives und umfassendes, das mich immens beeindruckt. So als ob es hier darum ginge, das Wesen dieses Genres an sich auf einem Longplayer zusammenzufassen und damit nicht nur einem Künstler, sondern einer ganzen Kultur ein Denkmal zu setzen. Wobei man der Fairness halber sagen muss, dass das sogar ziemlich gut gelingt. Die Idee von Solid Gold, prominente Figuren aus den Landschaften des Reggae, Dub und Dancehall die MC-Funktion einnehmen zu lassen und mit vorhandenen Aufnahmen des Hauptakteurs zu kombinieren, ist dabei ebenso clever wie naheliegend. Und wenn man sich ansieht, wer hier alles den Ruf hörte, ergibt sich nicht weniger als ein generationsübergreifendes Aufgebot genre-relevanter Superstars. Da singt Ziggy Marley zur Eröffnung den Trenchtown Rock von Papa Bob, Santigold veredelt eine weitere geniale Version des Szene-Standards Man Next Door, Clash-Gitarrist Mick Jones ist im 15-minütigen Opus Every Knee Shall Bow zu hören, Dub-Legende Scientist baut einen fantastischen Remix des gleichen Songs und selbst der ewig verlachte Shaggy steuert in Rule the Nation einen Part bei, der weit mehr als nur ziemlich gut ist. Dass viele der Stücke auf Solid Gold dabei neue Versionen von Klassikern des kingstoner Kanons sind, macht die Tragweite und Erhabenheit dieses Releases natürlich noch ein bisschen spürbarer, auch wenn das hier in keinem Moment ein melancholisches oder in sich gekehrtes Album ist. Viel eher ist es im Geiste dort, wo U-Roy Zeit seines Lebens seine größte kreative Kraft entfaltete: In irgendeiner Straßenecke in Trenchtown, eingepfercht zwischen mehrstöckigen Boxentürmen und in Aktion. Im Sinne einer Erinnerung und einer Verbeugung vor dem Schaffen dieses Künstlers könnte Solid Gold in meinen Augen deshalb besser nicht sein und dass es an manchen Stellen schon fast wieder ein Tribute-Release ist, funktioniert in diesem Fall tatsächlich Mal zu seinem Vorteil. Denn es ist eben nicht das Produkt eines zynischen Labels, dass so schnell wie möglich nochmal Profit aus dem Erbe eines verstorbenen Musikers schlagen will, sondern die Zusammenkunft einer ganzen Szene, die einen ihrer wichtigsten Impulsgeber feiert. Und auch wenn das sicher nicht mehr die Aufmerksamkeit generiert, die ich der Erinnerung von U-Roy gewünscht hätte, ist es doch ein ziemlich schöner Abschied, der ihm würdig erscheint. Auch wenn die Welt des Pop sicher nie so richtig schätzen lernen wird, was sie an diesem Typen hatte.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Trenchtown Rock | Man Next Door | Rule the Nation | Tom Drunk | Stop That Train | Soul Rebel | Queen Majesty / Chalice | Small Axe | Every Knee Shall Bow | Every Knee Shall Bow (Scientist Dub)

Nicht mein Fall
-


Hat was von
Bob Marley & the Wailers
Confrontation

Thievery Corporation
the Temple of I & I


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