Mittwoch, 14. Juli 2021

Und noch viel weiter

Twin Shadow - Twin ShadowTWIN SHADOW
Twin Shadow
Cheree Cheree
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ bunt | folkig | vielseitig | soulig ]

Seit ziemlich genau einer Dekade macht George Lewis Junior aka Twin Shadow nun inzwischen Musik, und mit jedem Mal, dass ich von ihm neues Material höre, muss ich wiederum staunen, wie weit das stilistische Territorium dieses Künstlers doch noch wachsen kann. Angefangen hatte er ja irgendwann mal mit einer Art Indiepop-infiziertem R'n'B, nicht unähnlich dem von the Weeknd, weshalb man schon verwundert war, als er Mitte der Zwotausendzehner plötzlich Ambitionen in Richtung Synthpop und springsteenigem Achtziger-Rock entwickelte. Dass das allerdings erst der Anfang war, merkte man spätestens 2018 auf der LP Caer, die auch irgendwie nach Arcade Fire, Bon Iver, Phil Collins und den Duffer-Brüdern klang. Wobei Lewis nicht nur irgendein Typ war, der sich für eine weltmännische Ästhetik irgendwelche schicken Fremdimpulse dazuholte, sondern diese anscheinend mit echter Leidenschaft kombinierte. Das zumindest zeigte sich im grandiosen Songwriting und der cleveren Produktion, die besagte Platte zu einer meiner liebsten in jener Saison machten. Wer allerdings dachte, dass damit sein persönlicher Horizont erreicht wäre, wird spätestens hier eines besseren belehrt. Denn obwohl die vorliegende selbstbetitelte LP des New Yorkers nur unscheinbare 30 Minuten lang geht, ist sie musikalisch doch definitiv sein bisher reichhaltigstes und buntestes Werk. Soll heißen, dass es hier endgültig nicht mehr möglich ist, eine wesentliche stilistische Marschrichtung festzustellen, die dieser Typ hauptsächlich fährt. Ein Soulman ist George Lewis hier mindestens genauso sehr wie ein Rockstar, ein hippiesker Folk-Barde, ein Afrobeat-Funker, ein verspulter Dubmaster und ein zeitgenössischer R'n'B-Frickler. Kompositorische Ansatzpunkte sind dabei nur mehr kleine Versatzstücke in einem riesigem Mosaik aus Einflüssen, bei dem unterm Strich das Prädikat monogenre steht. Aber nur mal zum herauspicken ein paar Beispiele: Alemania startet die Platte als munteres Afrobeat-Stückchen mit softer Damien Jurado-Note, Sugarcane ist eine sehr blumige, moderne R'n'B-Nummer, Is There Any Love ein peppiger Disco-Jam und Johnny & Jonnie der Mittelweg zwischen karibischem Calypso und fluffigem Roots-Reggae. Insgesamt kann man dabei sagen, dass Lewis nach dem sehr synthetischen Caer hier eine sehr organische LP macht, die durch großartig gemachtes Gitarren-Songwriting besticht und fast schon etwas Paul-Simon-Graceland-artiges an sich hat. Wie schon auf dem Vorgänger merkt man dabei, dass die Einflüsse von Twin Shadow nicht nur breit aufgestellt sind, sondern auch sehr tief gehen und mitunter ziemlich nerdig werden können. Nichtsdestrotrotz sind die zehn Tracks hier einer wie der andere unglaublich eingängig und auch dann richtig gut, wenn man im Hintergrund nicht den üppigen Katalog an Impulsen vor Augen hat. Und obwohl ein Hit wie Saturdays vom letzten Mal hier vielleicht nicht dabei ist, ist das hier im Sinne eines Gesamtwerks trotzdem genauso gut. Mindestens. Spätestens mit der Leistung, die Twin Shadow auf diesem Album erbringt, hat er sich für mich als transzendeter, Genre und Ästhetiken verbiegender Visionär offenbart, der in seinen Songs nach den ganz großen künstlerischen Herausforderungen sucht. Dass es zehn Jahre gedauert hat, bis man das auch wirklich hören konnte, soll dabei sein Schaden nicht sein. Denn schon der Weg hierhin war spannend und wer weiß, wohin er uns von dieser Stelle aus noch führt. Und im Optimalfall ist der Horizont nämlich auch mit diesem Werk noch lange nicht erreicht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡🟡🟡 09/11

Persönliche Höhepunkte
Alemania | Sugarcane | Johnny & Jonnie | Is There Any Love | Gated Windows | Modern Man | Lonestar | Brown Sugar | I Wanna Be Here (Shotgun)

Nicht mein Fall
-


Hat was von
the Cat Empire
Stolen Diamonds

Shamir
Revelations


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