Montag, 24. Juni 2019

How to Write an Alt-J Song





















[ schrullig | experimentell | eskapistisch ]

Schaut man sich zum Ende dieser Dekade das große Ganze mal in Ruhe an, dann sind Alt-J für mich persönlich eigentlich eine der enttäuschendsten Bands der letzten zehn Jahre. Dafür, wie großartig sie irgendwann mal angefangen haben, sind sie in der Zeit danach doch ziemlich schnell und direkt zu einer unsäglich nervigen Erscheinung geworden, die alle irgendwie noch akzeptieren, aber die niemand wirklich mag und deren jüngere Platten allesamt Fragezeichen bei mir hinterlassen. Spätestens seit This is All Yours von 2014 gehöre ich mehr oder weniger zum Lager der wenigen Alt-J-Skeptiker*innen auf dieser Welt, habe über Relaxer vor zwei Jahren einen bösartigen Artikel geschrieben (der mir einige hitzige Diskussionen einbrachte) und dieses dämliche Video mit den zwei bekifften Typen und der Loopmachine ist mein konstantes Mood, wenn es um diese Gruppe geht. Wie auch immer, wenn ich von meiner Enttäuschung über ihren neuerlichen Output rede, funktioniert dieser natürlich nicht losgelöst von ihren Anfängen, denn um tief zu fallen muss man bekanntlich erstmal oben sein. Und an dieser Stelle kommt An Awesome Wave ins Spiel, ihr immer noch absolut galaktisches Debütalbum. Ich vergesse manchmal, wie fantastisch diese erste Platte der Briten ist, weil ich immer wieder einzelne Songs davon losgelöst höre, die Leute in irgendwelchen Feel Good-Playlisten seit Äonen totnudeln und die deshalb nicht mehr das gleiche sind. Doch sobald ich irgendwann mal die Muse habe, mir tatsächlich das ganze Ding in voller Länge und im Optimalfall auf Kopfhörer oder Anlage anzuhören, weiß ich wieder, das diese LP hier des Pudels Kern ist. An Awesome Wave ist ein Album, das sowohl den Rummel rechtfertigt, der auch sieben Jahre später immer noch um diese Band gemacht wird als auch den großen Frust, den ich über sie inzwischen empfinde. Denn hier stellt sich eine Gruppe vor, die sich auf Anhieb, mit ihrem ersten richtigen Longplayer überhaupt, anschickt, einer der besten und originellsten Indiepop-Acts ihrer Zeit zu sein und damit zur allgemeinen Verblüffung auch noch abliefert. Diese Platte ist nicht nur durch ihre quirligen und eigenwilligen kompositorischen Ausreißer, Jon Newmans komisches Quetsch-Falsett, die toll umgesetzte Vokalpolyphonie und die verträumten Gitarrenparts besonders, sondern auch durch den Rahmen, der diesen Sachen hier gegeben wird. Die grandiose, raumgreifende Produktion von Mark Bishop und Charlie Andrew schafft es, jede einzelne Note, jeden noch so subtilen Drop und jede stimmliche Nuance von Newman und Kollegen zu filettieren und der interne klangliche Flow des Albums ist wie aus dem Lehrbuch. Das optimal stimmungsgebende Intro, danach Tessellate als pushende Leadsingle, die genial platzierten Interludes überall und das unvergleichliche Taro zum emotionalen Finale, das die dramaturgische Kreislinie vollendet - das alles macht An Awesome Wave aus dem Stand zu einem Meisterwerk, das mehr ist als nur die kreative, freaky Version von Woodkid und the XX. Alt-J bauen mit ihrer Musik ein Therabitia aus Klängen, das großes eskapistisches Potenzial hat, nicht zuletzt weil man nie so richtig versteht, was die eigentlich singen. Dieses Phänomen ist witzig, denn eigentlich ist das hier eine überdurchschnittlich ruhige LP, was sehr untypisch ist für das Debüt einer jungen Indieband mit solchen kompositorischen Möglichkeiten. Aber wenn man sich die Einzeltracks anschaut, ist das Bild schon sehr melancholisch: Kernsongs wie Matilda, Ms oder Tessellate sind Tracks, die bei vielen Bands im letzten Drittel der Platte gelandet werden, Alt-J jedoch setzen sie nicht nur in den Mittelteil beziehungsweise an den Anfang davon, sie machen sie sogar zu Singles. Paradoxerweise ist An Awesome Wave in meiner Erinnerung trotzdem nie subtil und zurückgehalten, sondern immer bunt, experimentell und bombastisch. Vielleicht ja deshalb, weil alles danach so unfassbar öde klang. Man muss aber auch fair mit den Briten sein: Zunächst mal ist es nie leicht, wenn man direkt mit seinem Debüt so dermaßen durch die Decke geht wie sie, zumal ihre Art von Musik 2012 eigentlich so langsam uncool wurde. Von der Pitchfork-NME-Blase der späten Nullerjahre waren Alt-J gemeinsam mit the XX die letzten richtig großen Profiteure, bevor das Kartenhaus zusammenstürzte und alle plötzlich nur noch Hiphop hörten. Die Zeiten danach wurden hart für Indiepop und Bands wie sie hatten alles zu verlieren. Da macht man schon mal dumme Sachen. Vielleicht war der individuelle Style dieser Gruppe aber auch tatsächlich ein Trick, der nur einmal so richtig funktioniert und danach zur eigenen Parodie wird, für die ein halber Joint und eine billige Loopmachine reicht. Oder Alt-J haben eine längere Krise zu überwinden, aus der sie sich mit ihrem nächsten Album hochjubelnd herauskatapultieren. Mutmaßungen sind an diesem Punkt immer noch erlaubt. Für den Moment steht jedenfalls fest, dass An Awesome Wave sowohl für ihre Schöpfer als auch für die Popmusik der letzten zehn Jahre eine definierende Platte geworden ist, die mit zunehmender Zahl mieser Nachfolger nur an Bedeutung gewinnt. Und so wie ich das einschätze, wird sie eine der Sachen sein, die von jetzt an bleiben, und sei es nur fragmentarisch in ein paar ollen Playlisten. Denn wenn es eine Sache gibt, die an eskapistischen Medien besonders toll ist, dann die, dass sie mit dem Alter besser werden.

Persönliche Höhepunkte: Intro | the Ripe & Ruin | Guitar | Something Good | Matilda | Ms | Fitzpleasure | Piano | Bloodflood | Taro

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