Sonntag, 9. Juni 2019

Thanks for Your Support!



[ proggig | instrumental | ätherisch | gewaltig ]

Einer der vielen Vorteile, die der Einbruch der traditionellen Musikindustrie in den letzten zehn Jahren mit sich brachte ist sicherlich der, dass es mittlerweile wesentlich einfacher ist, einen Draht zwischen Schaffenden und Fans aufrecht zu erhalten. Nicht nur sind soziale Netzwerke ein tolles Kommunikations- und PR-Medium, welches man für ebendiese Zwecke auch herrlich ad absurdum führen kann, es kann auch direkt dazu dienen, sich die für ein Projekt notwendige Unterstützung bei den Verbrauchenden selbst zu holen. Was gerade für kleinere Bands und Künstler*innen bedeutete, sich eventuell auch mal das große produktionstechnische Besteck leisten zu können. Galleonsfigur dieser Entwicklung ist seit etlichen Jahren Amanda Palmer, die von den 1,2 Millionen Dollar, die sie 2012 von ihren Fans für the Grand Theft Orchestra bekam, wahrscheinlich noch immer gut ihre Brötchen kauft. Die Phänotypen Fan-finanzierter Musik sind aber seitdem ebenso vielfältig geworden wie die Künstler*innen, die sie in Anspruch nehmen und so gibt es auch abseits der großen Erfolgsgeschichten ein paar tolle Alben, die ohne die Hilfe der Hörer*innenschaft sicherlich nicht möglich gewesen wären. Womit wir bei Sioum wären. Die instrumentale Progrock-Band aus Chicago ist nun wirklich alles andere als eine große Nummer: Ihre offizielle Seite dümpelt auf Facebook momentan bei etwas über 2500 Likes herum, ihr letztes Karriere-Highlight war eine Support-Show für Zeal & Ardor vor einigen Wochen und ihre magere Diskografie zählt bis jetzt gerade mal zwei richtige Alben. Gegründet wurde das Trio um die beiden Zdrinc-Brüder Dorian und Arthur 2008 und führt seitdem die Existenz eines klassischen Bandcamp-Acts. Wo das für die meisten Bands aber bedeuten würde, dass ihre Musik wohl wenig mehr als ein Hobby bleibt, haben Sioum seit jeher sehr bewusst an diejenigen vermarktet, die sich auch wirklich dafür interessieren. Soll heißen: Indem die Drei für einen relativ kleinen Markt produzieren, können sie in die Einzelheiten der Platte viel mehr Arbeit stecken und Fans, die diese Arbeit durch Spenden mitfinanzieren, können sie am Ende nicht nur eine neue LP präsentieren, sondern ein multimediales Gesamterlebnis. Schon das preiswerteste Download-Paket von I Am Mortal But Was Fiend umfasst so schöne kleine Extras wie ein digitales Booklet, inhaltliche Ausführungen zum Konzept der LP und individuelle Artworks zu jedem Song. Das ist so wunderbar detailverliebt, dass man gar nicht spekulieren will, was Sioum sich für ein Vinyl-Release (das es leider bis heute nicht gibt) wohl überlegt hätten. Man erlebt hier Musikschaffende, die ihr Publikum nicht als zahlendes und Säle füllendes Nutzvieh vestehen wie viele Labels, sondern solche, die es durch liebevolle Produkte an sich binden. Und das merkt man hier letztlich nicht nur an der Aufmachung, sondern auch an der Musik selbst. Strukturell gesehen unterscheidet sich I Am Mortal But Was Fiend eigentlich nicht groß vom Output der meisten Instrumentalrock-Acts aus der Bandcamp-Blase, Sioum spielen eine Mischung aus Post- und Progrock, die sich irgendwo zwischen den Russian Circles, Pelican und Between the Buried and Me einpendelt. Bisweilen sind auch dezente Einflüsse aus den Gefilden des Chiptune mit dabei (einige der Mitglieder schreiben nebenbei noch Soundtracks für Indiespiele), aber sonst ist das hier prinzipiell keine große Sache. Besonders wird es erst, wenn man hört, wie diese Klänge hier aufbereitet werden. Und dabei spreche ich jetzt vor allem mit den Nerds unter euch: Dieses Album ist eine technische Wundertüte. Wer auf Dinge wie Polyrhythmien, wahnwitzige Solo-Parts und exotische Tonleitern steht, sollte hier definitiv ein paar Schönheiten finden. Und obwohl ich meine Wenigkeit absolut nicht zu dieser Gattung Musikfan zähle, bin auch ich von einigen technischen Spielereien dieser LP tief beeindruckt. Tatsächlich ist das schöne hier aber, dass die große Gniedelei zwar da ist, jedoch nicht zu viel Raum einnimmt. Sioum sind (zumindest hier noch) keiner dieser Acts wie Animals As Leaders oder Periphery, bei denen die Songs quasi nur das notwendige Beiwerk für endloses Prog-Genudel sind, sondern im Zentrum des Geschehens stehen. Auf I Am Mortal hat man größtenteils eher den Eindruck, eine sehr technisch ausgefuchste und nerdige Postrock-Platte zu hören. Was, wenn man es so sieht, wiederum den Vorteil hat, dass hier eben nur selten auf die bewährten Crescendo-Formeln zurückgegriffen wird, sondern einzelne Motive viel cleverer verschachtelt sind. Wie und ob überhaupt das ganze letztlich einzuornden ist, ist mir mittlerweile eigentlich ziemlich egal. Das Resultat ist jedoch ein Album, das aus diesem Zustand sehr viel Kreativität bezieht. Motive wie das thrillerhafte Field Recording in Pillars, der rapide Tempoanzug von Arthur Zdrinc am Schlagzeug (auch in Pillars) oder das dampfhämmernde Postmetal-Riffing in Shift hört man doch eher selten auf solchen Platten und ich finde sie zumeist nicht weniger als genial. Hinzu kommt noch, dass I Am Mortal mit einem extrem filigranen Sound daherkommt, der schon dann beeindrucken würde, wenn das hier nicht das Debütalbum einer Gurkentruppe ohne Label-Backing wäre. Das zeigt jedoch ein weiteres Mal, dass diese Band bereit ist, für einen akkuraten Fanservice auch mal mehr zu leisten als das Mindestnotwendige. Weshalb dieses Album auch über zehn Jahre ein absolut faszinierendes Stück Musik geblieben ist und in der vegetierenden Post/Prog-Welt eine der Platten, die überlebt. Weil sie sich aus Leidenschaft nährt und von einer sehr kleinen, aber hingebungsvollen Community durchgebracht wird. Weil sie ihren Job sorgfältig macht. Das sind die kleinen Märchen, die die Bandcamp-Ära schreibt. Wobei ich der Fairness halber auch sagen muss, dass ich Sioums zweite LP Yet Further von 2016 für ziemlichen Kram halte, deren sechs Jahre in der Crowdfunding-Produktions-Pipeline leider komplett verschwendet waren und über deren Enttäuschung mich auch ein Doppelvinyl mit Gatefold, Artbook und 8Bit-Bonus-EP nicht trösten konnten. Manchmal scheitert es eben auch einfach an der Musik selbst.

Persönliche Höhepunkte: Upon Awakening | Pillars | Shift | Chambers | Fields (Ocean of Silence) | Collapse

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