Sonntag, 23. Juni 2019

Entartete Kunst





















[ postmodern | übertrieben | sakral ]

Es ist wahrscheinlich keine Übertreibung zu sagen, dass Hunter Hunt-Hendrix inzwischen so etwas wie der Kanye West des Black Metal ist. So sehr wie er sich in den letzten zehn Jahren in der Szene unbeliebt gemacht hat und ihr Gesicht gleichzeitig auf lange Sicht geprägt hat, findet man für ihn keine passendere Metapher als die des egozentrischen Visionärs, der möglicherweise leicht einen an der Klatsche hat. Seine esoterisch angehauchten Interviews waren innerhalb der Community mehr als einmal die Zielscheibe bösartiger Memes und die pseudo-kulturwissenschaftlichen und philosophischen Manifeste, die er als Surplus seiner Musik regelmäßig veröffentlicht, werden ebenfalls gerne verlacht. Hendrix nimmt sich und seine Kunst extrem wichtig, was ihn von den Metal-Normalverbraucher*innen, die einfach nur Bock auf Geschrei und Blastbeats haben, immer wieder stark entfremdet hat. Ebenso wie bei Yeezy muss man aber auch bei ihm sagen, dass die Dinge, die ihn als öffentlichen Charakter schwierig machen, viel von der Genialität seiner Musik ausmachen. Denn obwohl seine Pamphlete über die Schöpfung des "transzendentalen Black Metal", die er städig postet, erstmal wie gequirlte Kacke klingen, hat er mit zahlreichen Projekten in der letzten Dekade gezeigt, wie so etwas aussehen könnte. Wobei der zentrale Baustein dieses Unterfangens immer Liturgy waren, deren beide Alben sozusagen den praktischen Teil seines großen Manifestes Transcendental Black Metal: A Vision of Apocalyptic Humanism darstellen. Und wo Aesthethica von 2011 zwar die LP war, die in der Szene den ganzen Bohei um Hendrix' Philosophien startete, ist es in meinen Augen der Nachfolger the Ark Work, der besagte Transzendenz wirklich umsetzte. Vor allem deshalb, weil es völlig hoffnungslos ist, sich dieser Platte mit den Maßstäben von Metal zu nähern. Zwar gibt es hier nach wie vor zahlreiche Elemente, die daran erinnern, doch sind diese bei weitem nicht definierend genug. Was hier passiert ist mindestens genauso sehr Chiptune, Hiphop, Shoegaze und barockes Madrigal wie Black Metal und der Sache ein eindeutiges Etikett zu geben, gibt man spätestens nach zwei Songs auf. Und spätestens hier beginnen Liturgy auch wieder zu polarisieren. Ich meine damit aber nicht unter irgendwelchen puristischen Vollhonks, von denen sich die New Yorker eh schon vor Jahren verabschiedet hatten, sondern tatsächlich unter ihren damaligen Fans. Fragt man mich, dann ist the Ark Work die Erfüllung der von Aesthetica gestellten Prophezeihung, nämlich die totale Überfremdung des eigenen Stils. Das Konzept Black Metal so aus den Angeln zu heben und dermaßen clever neu zu synthetisieren, ist für mich die große Leistung dieses Albums, die andere Perspektive ist jedoch ebenso verständlich. Wer die epischen Riff-Kaskaden und rappeligen Burstbeats (Eine Abwandlung des Blastbeats und Erfindung des Liturgy-Drummers Greg Fox) des Vorgängers mochte, könnte hier nämlich durchaus enttäuscht worden sein. Die gigantoesken Mäander ersetzt die Band hier durch glitchende Synth-Passagen, Drumcomputer und sogar Dudelsäcke, während Hunt-Hendrixs Gesang eher etwas stimmbrüchig als finster und dämonisch klingt. Und sich damit anzufreunden, fiel vielen trotz der cleveren Kontextualität leider schwer. Auch ich muss zugeben, dass the Ark Work bisweilen nervig klingt, hier kommt aber wiederum der Maßstab ins Spiel. Denn für mich ist dieser weniger wie beim Metal dabei, die Platte möglichst epochal klingen zu lassen, sondern eher bei den Sachen, die Leute wie James Ferraro oder Teile der Vaporwave-Bewegung zu dieser Zeit machten. Die neue Maßstäbe eher in der Produktion setzten als durch eigentliches Songwriting. Sowas beinhaltet dann zum Beispiel total übertriebene Höhen, der Verzicht auf klangfüllende Bässe und einen im allgemeinen sehr schrillen Sound zur Verschiebung der akustischen Komfortzone (im Prinzip also nichts anderes als Distortion oder Rückkopplung, nur dass unsere Ohren daran inzwischen gewöhnt sind). Was the Ark Work auch in klanglicher Hinsicht zu einem extrem visionären Projekt macht. Der traurige Unterschied ist letztlich nur, dass dieser Sound nie über die kleine Welt der Avantgarde hinausging. 2015 klang diese LP für mich nach Zukunft, nach dem Zusammenbruch von Genre-Konstrukten, nach heiligem Lärm und nach einem völlig neuen Produktionserlebnis. Und ein kleines bisschen glaube ich noch immer daran, dass dieses Album irgendwann mal wiederentdeckt wird, denn es ist als solches eine komplette Anomalie, die ich so sonst noch nie gehört habe. Vielleicht war es seiner Zeit einfach sehr weit voraus und es wird noch der Moment kommen, in dem es seine verdiente Anerkennung bekommt, so wie dieser Tage 808s & Heartbreaks von Kanye West. Höchstwahrscheinlich wird es aber eher ein musikalischer Insider bleiben, der verrückte Geniestreich eines komischen Kauzes, der seine eigenen Manifeste vertont. Was Hunter Hunt-Hendrix im übrigen auch noch immer tut. Seit the Ark Work hat er sich mehr und mehr in die Gefilde des Electronica verzogen, und mittlerweile unter anderem ein Ambient- und ein Trap-Album (!) veröffentlicht. Ob Liturgy noch einmal zurückkehren, ist indes ungewiss, aber das ist es irgendwie immer. Und wenn es das Ende sein sollte, dann kann diese Band sich zumindest nicht vorwerfen, ihren musikalischen Auftrag nicht erfüllt zu haben, nämlich die komplette Ausweidung des Black Metal.

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