Dienstag, 9. November 2021

Das geliehene Comeback

Elton John - The Lockdown SessionsELTON JOHN
the Lockdown Sessions
EMI
2021
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
[ recycelt | modern | kollaborativ ] 

Sir Elton John hatte es sich wahrscheinlich einfach selbst zu leicht gemacht in der letzten Zeit. Und zugegeben, in seiner Rolle hätte das sicherlich jede*r so gemacht. Als geschlagener Ritter von Gnaden der Queen, der inzwischen quasi zum Hofkomponisten der britischen Krone geworden ist sowie etablierte Musiklegende, die sich nicht nur die kompletten Siebziger und Achtziger hindurch dumm und dämlich verdient hat, sondern auch noch mit jedem Pups, den er seitdem machte, in den Charts landete, lebt es sich ganz bestimmt nicht schlecht. Und die Pflicht, als Künstler noch irgendwie kreativ oder überhaupt im mindesten produktiv zu sein, besteht bei jemandem wie ihm im Prinzip nicht mehr. Was ja grundsätzlich auch okay so ist. Ich will definitiv nicht sagen, dass ein Elton John sein Leben als Made im Speck der Entertainment-Industrie nicht verdient gehabt hätte, viel eher soll es eine Rechtfertigung dafür sein, dass mich sein musikalischer Output - vor allem der der letzten Dekade - nie besonders interessiert hat. Ein Album wie the Lockdown Sessions, das nicht nur sein erstes nach inzwischen fünf Jahren ist, sondern im Vorfeld auch aus vielen Gründen wie ein spannendes Projekt erschien, wollte ich mir dennoch nicht entgehen lassen. Denn auch wenn vieles daran sich letztendlich als ziemliche Mogelpackung herausgestellt hat, ist das hier doch irgendwie ein wichtiges Dokument der neuen Waghalsigkeit des Elton John, die er erst seit etwa anderthalb Jahren in dieser Form gibt. Wobei es passend ist, dass sie von jemandem wie ihm kommt, bei dem sich schon lange zuvor andeutete, dass ein mildes Alterswerk nicht wirklich sein Ding ist und der es tatsächlich geschafft hat, seine nach wie vor flamboyante Ader mit einer gewissen royalen Classyness zu verbinden, vor der ich Respekt habe. Trotzdem war es jedes Mal wieder etwas seltsam, ihn während der letzten Dekade in Verbindung mit Acts wie Queens of the Stone Age, den Gorillaz, Pnau oder A Tribe Called Quest zu sehen, die scheinbar so gar nicht zu ihm passten. Doch wurde er mit all diesen Kollaborationen mit der Zeit jemand, der als Featuregast irgendwie anerkannt und sich tendenziell auch für nichts zu schade war. Und wenn man so will, ist the Lockdown Sessions jetzt so etwas wie das große, glamouröse Schaulaufen dieser Gelegenheitsauftritte. Von den 16 Songs dieses Albums ist kein einziger ohne andere Künstler*innen entstanden und einige der Stücke sind sogar direkte Übernahmen von bereits veröffentlichten Nummern auf anderen Alben. Da wäre die Zusammenarbeit mit Gorillaz und 6lack auf der ersten Song Machine-LP, die Mini-Supergroup aus ihm, Miley Cyrus, Watt, Robert Trujillo und Chad Smith vom relativ neuen Metallica Blacklist-Tribute (zum besten gegeben wird ein Cover von Nothing Else Matters), eine Zweitversion von Rina Sawayamas Chosen Family von deren Sawayama-Deluxeversion sowie One of Me, das ursprünglich auf dem Debüt von Lil Nas X erschienen war. Dass diese Songs an sich so einen großen Teil der "neuen" Platte ausmachen, finde ich dabei ein bisschen schade, ebenso wie die Tatsache, dass einige meiner liebsten Gastbeiträge von John (vor allem der in Ordinary Man von Ozzy Osbourne) nicht dabei sind. Einige spannende neue Tracks, inklusive ungewöhnlicher Features, bekommen wir aber trotzdem. In Finish Line gibt es einen der extrem selten gewordenen Auftritte von Stevie Wonder, Dua Lipa und Pnau begleiten den eröffnenden Remix des Klassikers Rocket Man in Cold Hearts, Eddie Vedder macht sich in E-Ticket komplett zum Vollhorst und in Always Love You tauchen Young Thug und Nicki Minaj auf, als wäre es das normalste der Welt. Und wo ich zu Anfang schon ziemlich verstört von vielen Ideen war, die John hier hat, sind die meisten der Songs beim wiederholten Hören deutlich besser geworden und machen zum Teil echt war her. Sicher, einen mittelgroßen Cringe-Faktor gibt es nicht selten und die wenigsten der Tracks sind in irgendeiner Form Meisterwerke, doch angesichts dessen, dass die meisten davon erstmal wie ziemliche Red Flags wirken, klappt erstaunlich vieles hier erstaunlich gut. Songs von denen ich dachte, dass ich sie hassen würde, stellen sich mittelfristig als echt in Ordnung heraus und auch die Tatsache, dass dieses Album stilistisch extrem weit streut, stört mich am Ende kaum. Der einzige große Makel, der auch nach mehreren Hördurchläufen nicht so wirklich verschwinden will ist Johns Gesangsperformance, die über weite Teile hinweg unnötig gestelzt wirkt und dazu oft mit echt seltsamen Effekten unterbaut zu sein scheint, die seine Stimme in meinen Augen eigentlich gar nicht braucht. Und ja, in nicht wenigen Songs wird der Hauptakteur von seinen Gästen auch sehr leicht in die Tasche gesteckt. Was aber letztendlich nichts daran ändert, dass die Songs an sich gut geschrieben sind. Vor allem zeigt es Elton John aber als einen nach wie vor sehr mutigen Künstler, der riskante Projekte wie diejenigen, die man hier findet, noch immer erfirschend ungezwungen angeht und in diese auch echte Leidenschaft steckt. Und ehe man sich beschwert, sollte man sich fragen, ob ein langweiliger und altersmilder Elton John echt die bessere Alternative wäre. Für mich ist sie das spätestens nach diesem Album auf jeden Fall nicht.

🔴🔴🔴🟠🟠🟠🟡⚫⚫⚫⚫ 07/11

Persönliche Höhepunkte
Learn to Fly | After All | the Pink Phantom | Orbit | Beauty in the Bones | Finish Line | Stolen Car

Nicht mein Fall
Chosen Family | One of Me | E-Ticket


Hat was von
Paul McCartney
New

Herbert Grönemeyer
Tumult


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